: Der unsichtbare Krieg
Die Medien rüsten auf. Wie unabhängig sie aus Afghanistan und den Nachbarländern berichten können, entscheiden jedoch andere
von ANDREAS LAUTZ
Es ist die Zeit der Kriegsberichterstatter. Yvonne Ridley, die britische Reporterin, die vergangenen Freitag von den Taliban in der Nähe der Grenze zu Pakistan aufgegriffen wurde, wusste nur zu gut, dass sie Kopf und Kragen riskierte, als sie am 26. September in afghanischer Kleidung in das Krisenland einreiste. Statt exklusiv für den Londoner Daily Express zu berichten, wird sie nun wegen „Verletzung der Gesetze des Landes“ in Dschalalabad festgehalten. „Illegale Einreise“ und Spionageverdacht lautet die Anklage. Jetzt wird ihr der Prozess gemacht.
Bereits Mitte September hatte das Taliban-Regime alle Ausländer aufgefordert, das Land zu verlassen. Trotzdem kommen zurzeit hunderte von Reportern aus aller Welt nach Pakistan und Tadschikistan, um von dort über die streng bewachte Grenze nach Afghanistan zu gelangen oder wenigstens über die Lage im „Frontstaat“ Pakistan zu berichten. Eine gewaltige Herausforderung, denn nicht nur Afghanistan ist schwieriges Gelände, sondern auch Pakistan. Klare Fronten? Fehlanzeige. So wie es aussieht, werden die USA einen diffusen Krieg mit teilweise verdeckten Einzelaktionen führen.
In Tadschikistan standen nach einem Bericht der New York Times bereits Ende vergangener Woche rund 200 Journalisten auf einer Warteliste der Rebellen der afghanischen Nordallianz, um per Hubschrauber in das von ihnen kontrollierte Gebiet nach Nordafghanistan einfliegen zu können. Mittlerweile dürften es noch mehr sein. Nicht nur die großen amerikanischen Zeitungen und TV-Sender haben Reporter auf diese Nordschiene gesetzt, sondern auch die deutschsprachigen, inklusive taz. Alle hoffen, dass die Rebellen der Nordallianz sie mitnehmen auf ihren Operationen gegen die Taliban. Dagegen sei es derzeit „viel zu riskant, in die Gebiete vorzustoßen, die die Taliban kontrollieren“, sagt Olaf Ihlau, der Leiter der Auslandsabteilung des Spiegel. „Unsere Leute haben Anweisungen, nichts auf eigene Faust zu unternehmen.“
Schwierig war die Arbeit für internationale Berichterstatter in Afghanistan schon immer, seit August 2000 haben die Taliban noch strengere Vorschriften erlassen. Eine 21-Punkte-Liste bekam jeder Korrespondent bei der Ankunft in Kabul in die Hand gedrückt und musste sich verpflichten, nur das zu berichten, „was in Afghanistan wirklich passiert“. Ohne Sondererlaubnis war es strikt verboten, Menschen zu interviewen, geschweige denn zu filmen. – Idealbedingungen im Vergleich zu heute.
Und dies nicht nur wegen der Taliban, sondern auch wegen der ungüngstigen geografischen und klimatischen Bedingungen. Elisabeth Palmer in einem Interview für ihren TV-Sender CBS: „Der Sand dringt in unsere gesamte Ausrüstung. Unsere Kamera fällt fast auseinander.“ Zudem zieht im Norden Afghanistans bald der Winter ein.
Auch deshalb ist Pakistan das Hauptaufmarschgebiet der Kriegsberichterstatter. Die Hauptstadt Islamabad und die Grenzstädte Peschawar und Quettar sind die zentralen Stützpunkte der Journalisten. Alle haben sie hier gleich mehrere Leute stationiert. Meist müssen die Korrespondenten, die sonst in Moskau oder Indien arbeiten, aushelfen. Hinzu kommen freie Journalisten, die mal diesem, mal jenem ihre Dienste verkaufen. Die Preise steigen täglich.
Bei der deutschen Botschaft in Pakistan haben sich bislang 30 deutsche Journalisten gemeldet. Allein CNN hat angeblich 75 Mitarbeiter vor Ort.
Daneben haben vor allem Nachrichtenagenturen massiv aufgerüstet. Associated Press berichtet inzwischen mit mindestens 50 Reportern aus der Region. Reuters hat sein Büro in Islamabad von acht auf 21 Leute aufgestockt und auch seine anderen Büros von Zentralasien bis zum Nahen Osten verstärkt.
Trotz dieser massiven Präsenz ist unklar, in welchem Maße die Journalisten an unabhängige Informationen gelangen werden: Das Territorium der Taliban ist abgeriegelt, das Pentagon schweigt sich aus, welche Operationen es wann und wo plant. Bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass die US-Militärs Journalisten uneingeschränkten Zugang zum „theatre of war“ gewähren werden. Die Erfahrungen aus dem Golfkrieg stimmen pessimistisch. Damals ließ das Pentagon nur handverlesene Pools von Reportern zu, deren Berichte den Militärs vorgelegt und mit den anderen Medienvertretern geteilt werden mussten. In die unmittelbare Nähe kriegerischer Handlungen kamen die Journalisten nie.
„So ist das im Krieg“, sagt Barbara Petersen, Geschäftsführerin der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen: „Die Kriegsparteien bestimmen die Güte der Berichterstattung.“
Daran halten sich auch die Pakistani: Ohne offizielle Genehmigung und polizeilichen „Schutz“ kommt keiner in die afghanischen Flüchtlingslager an der Grenze. Vorläufige Festnahmen von Medienvertretern, Durchsuchungen und Verhöre sind nicht ungewöhnlich. „Mehr als 10 oder 15 Kilometer kommt in Pakistan nach unseren Informationen kaum einer an die Grenze ran – geschweige denn rüber“, sagt Petersen. Immerhin gelang es vor wenigen Tagen einem BBC-Team, ins Taliban-Gebiet einzudringen und aktuelle Bilder um die Welt zu schicken. Andere erhalten nicht einmal mehr die Genehmigung, nach Pakistan einzureisen: Journalisten aus dem wenig geliebten Nachbarstaat Indien bekommen angeblich schon seit dem 20. September kein Visum mehr. Dafür haben die meisten internationalen Journalisten für alle Fälle den umgekehrten Weg gebucht: „Nicht nur unsere Leute da unten haben Papiere, mit denen sie kurzfristig nach Indien ausreisen können“, so Olaf Ihlau vom Spiegel.
Bei der Neuen Zürcher Zeitung gibt man sich trotzdem verhalten optimistisch: „Anfangs werden wir stark von den offiziellen Verlautbarungen abhängig sein. Nach und nach werden aber Informationen und Bilder von Kontaktleuten heraussickern“, sagt ein Redakteur. Weitere wichtige Quellen seien Flüchtlinge und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. In jedem Fall kostet die Präsenz vor Ort Verlage und Sender horrende Summen. Flüge, Hotels, Visa, Informationen, Bestechungungsgelder und nicht zuletzt die technische Ausrüstung und die Kosten der Informationsübermittlung haben in Zeiten des Krieges ihren Preis.
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