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Wahrheit und Propaganda

Mit acht Millionen Dollar wollen die USA ihr „Radio Free Afghanistan“ wiederbeleben. Vorbild ist Radio Free Europe (RFI). Doch der Sender hat in entscheidenden Situationen schon oft versagt

von Karl Gersuny

Es gibt keinen Krieg ohne Propaganda-Maschinerie, lehrt die Geschichte, und auch beim drohenden US-Waffengang gegen Afghanistan wiederholt sich diese Militärlogik. Derzeit arbeiten die Amerikaner im Stillen am Aufbau eines „Radio Free Afghanistan“, das rund um die Uhr den amerikanischen Standpunkt von Freiheit und Gerechtigkeit ins Land der Taliban senden soll.

Bekanntgeworden ist das Projekt nur durch eine unachtsame Äusserung des republikanischen Abgeordneten Ed Royce, der vorigen Mittwoch damit prahlte, er werde als Mitglied des US-Repräsentantenhauses den in Prag ansässigen Sendern Radio Free Europe und Radio Liberty acht Millionen Dollar für die „Verbreitung der Wahrheit in Afghanistan“ zukommen lassen; ein neuer Dienst werde ausschließlich in diese Krisenregion ausstrahlen.

Bislang gibt man sich bei den beiden Radiostationen bedeckt, angeblich liegen den Redaktionen in der tschechischen Hauptstadt keinere weiteren Einzelheiten über die Afghanistan-Pläne der amerikanischen Geldgeber vor. Die osteuropäischen Dienste vermeldeten die Initiative zu einem „Radio Free Afghanistan“ nur kurz und auch auf der offiziellen Homepage (www.rferl.org) sucht man vergeblich nach Hinweisen über das geplante Programm. Dass auf Kurzwelle gesendet wird, steht fest. Denn für Afghanistan gilt Kurzwellenradio als das Informationsmedium schlechthin. Im Land der Taliban gibt es weder Fernsehprogramme, noch UKW-Sender, schon gar kein Internet. Mit ihrem Machtantritt 1996 verboten die Fundamentalisten jedes Unterhaltungsmedium als „Quelle der moralischen Zersetzung“. Selbst die Ausstrahlung von Volksmusik ist seitdem verpönt.

Sender ohne Musik

Der Talibanstation „Shariat“ (Islamisches Recht) ist derzeit die einzige Sendeanstalt in Afghanistan, das Programm bleibt auf Nachrichten und religöse Beiträge beschränkt. Die Radiomacher in Kabul erklären stolz, „Shariat“ sei der einzige Sender in der Welt, der auf „schändliche Musik“ verzichte. Das Programm wird landesweit ausgestrahlt, es gibt einige Lokalprogramme – und für „ausländische Agenten“ einen 15-minütigen Nachrichtenblock auf Englisch. Selbst in den von der feindlichen Nordallianz beherrschten Landesteilen will der Rundfunksender noch einen Untergrundbetrieb aufrecht erhalten haben.

Das behauptet zumindest das Regime, das neben dem Sender noch eine Zeitung gleichen Namens herausbringt. Und was im eigenen Land verpönt ist, setzt man selbst als Propagandawaffe ein: Über einen pakistianischen Server sind die Taliban im Internet präsent (afghan-ie.com).

Unabhängige Informationsquellen für die Menschen in Afghanistan sind derzeit vor allem die BBC und Radio France International (RFI). Der Sender der Nordallianz strahlt nur sporadisch und unter extremen Frequenzschwankungen (etwa bei 7085 kHz) ein Programm aus. BBC und RFI senden in die Region auf Kurz- und Mittelwelle in Paschtu, Persisch, Urdu und Arabisch und erreichen damit nach eigenen Angaben die Mehrheit der 26 Millionen Einwohner Afghanistans. Ausserdem tummeln sich noch die Deutsche Welle, Voice of America, All India Radio, die Stimme Russlands und Radio China im Äther.

Trotz dieser für eine Dritte-Welt-Region massiven Radio-Versorgung will die US-Regierung mit „Radio Free Afghanistan“ neue Masstäbe setzen.

Schon einmal, vor 20 Jahren, riefen die Amerikaner die zu dieser Zeit verbündeten islamischen Rebellen über einen Sender gleichen Namens zum Kampf gegen die sowjetischen Invasoren auf. Als diese bald darauf besiegt waren, verstummte die Stimme aus dem Fernen Westen wieder. Der Einfluß des alten „Radio Free Afghanistan“ auf die Ereignisse blieb ohnehin marginal, denn die Sowjets waren militärisch längst am Ende.

Wortbrüchiges RFE

Diesmal soll bei „Radio Free Afghanistan“ alles anders werden. In einem vielschichtigen Programm, von Musik bis volksmedizinischen Beiträgen, wollen die Amerikaner dem afghanische Volk angeblich „westliche Wertvorstellungen“ näherbringen – nach dem Vorbild von „Radio Free Europe“. Was dies im Detail bedeutet, muss vorerst Spekulation bleiben. Die Geschichte von „Radio Free Europe“ wirft allerdings unzählige Fragen über die Redlichkeit der amerikanischer Absichten auf: In der Zeit des Kalten Krieges war die „Freie Stimme“ – damals mit Standort München – alles andere als frei. Die Programme für Osteuropa brachten Propaganda pur: Der Westen war gut, der Osten schlecht. Die Simplizität, mit der die amerikanischen Radiomacher einst ihr Weltbild den Osteuropäern erklärten, ging an der Realität oft vorbei. Hinter dem Eisernen Vorhang hätte man darüber schmunzeln können, hätten die Amerikaner zumindest zu ihrem Wort gestanden.

Doch in allen dramatischen Situationen versagte „Radio Free Europe“. Als sich im Oktober 1956 die Ungarn gegen die sowjetische Besatzungsmacht gewaltsam erhoben, rief der Münchner Sender die Bevölkerung offen zum bewaffneten Aufstand auf und suggerierte, westliche Hilfe werde kommen. Die Aufständischen glaubten, was sie hörten, kämpften weiter – und rannten ins Verderben. Die Ungarn waren sich sicher, hinter „Radio Free Europe“ stehe die CIA – was zu gewissen Zeiten auch zutraf – und vertrauten auf deren „Anweisungen“. Erst nach der Niederschlagung durch sowjetische Panzer war klar, dass der Westen nie die Absicht hatte, den freiheitsliebenden Ungarn zu Hilfe zu eilen. Ähnliches wiederholte sich beim Prager Frühling 1968 und bei der Zerschlagung der polnischen Solidarnosc-Bewegung im Dezember 1981. Bleibt abzuwarten, welches Unheil möglicherweise „Radio Free Afghanistan“ künftig anrichtet.

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