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Frieden für die eigene Partei

Parteichefin Gabi Zimmer demonstriert, was ihr bislang fehlte: Führungsstärke. Doch die neue Geschlossenheit ist teuer erkauft –mit geistigem Stillstand

aus Dresden JENS KÖNIG

Das war eine Inszenierung ewiger Wahrheiten: PDS, das ist Frieden, Frieden auf der ganzen Welt, und das ist gut so, gut und schön. Aber gut und schön war nicht alles, nur Frieden, der war wirklich überall.

Auf der Bühne hing er überlebensgroß, mindestens vier Meter hoch war er. Frieden! prangte auf dem Parteitagsplakat, und das Ausrufezeichen knallte in Rot. Vor dem Kulturpalast in Dresden, dem Ort des Parteitags, standen 99 Delegierte und ließen 99 blaue Luftballons in die Luft steigen. Oh ja, und als Nena zu singen begann, von den 99 Luftballons, da dachte man, gleich heben sie ab, die Delegierten, und machen dort oben beim Herrn ihren Frieden mit der bösen Welt. Drinnen im Saal saß immer noch Oskar Fischer, der in der DDR mal Außenminister und damit so etwas wie der Hauptabteilungsleiter Frieden war. Fischer schrieb jedes Wort mit, das auf diesem Parteitag gesprochen wurde. Ganz so, als brauche er dieses umfangreiches Material, weil er gleich morgen früh zu Geheimverhandlungen mit den Taliban nach Kabul fliegen würde.

Überall war Frieden bei der PDS. Aber ihr Potenzial haben die Genossen nicht ausgeschöpft. Sie haben darauf verzichtet, im Saal des Kulturpalastes weiße Tauben aufsteigen zu lassen. Schade eigentlich. Bedenken von Tierschützern hätte die PDS in diesem Fall ruhigen Gewissens ignorieren können. Es geht schließlich um Großes. Gefehlt hat auch eine Gruppe junger Pioniere, die das rührende Lied von der kleinen weißen Friedenstraube singt. Bei guter Organisation hätten die Pioniere auf der Bühne dann auf die Gruppe „Ehemalige Nato-Generäle gegen den Krieg in Afghanistan“ um Gert Bastian treffen können.

Aber man kann nicht alles haben. Gabi Zimmer immerhin, die Parteichefin, die war wieder ganz Frieden. „Frieden! Gerechtigkeit weltweit!“ stand auf der ersten Seite ihres Redemanuskripts. Und daran hielt sich Gabi Zimmern eisern. Die erste Hälfte ihrer anderthalbstündigen Rede war nichts als Frieden und Gerechtigkeit. Nur am Anfang gab es ein paar rhetorische Zugeständnisse an den Zeitgeist. „Um es klar zu sagen“, so die PDS-Vorsitzende, „Terror ist Terror.“ Kein Verweis auf Armut, Ausbeutung und soziale Ungleichheit könne diesen Terror rechtfertigen.

Aber dann ging es bei Zimmer den Rest der Zeit um Armut, Ausbeutung und soziale Ungleichheit auf der Welt, ohne deren Beseitigung die Ursachen der terroristischen Gewalt nicht zu bekämpfen seien. Deswegen sagte die Parteichefin: „Ich bin gegen militärische Gegenschläge“, und der Beifall an dieser Stelle war groß. Der Sofortbekämpfung des Terrorismus widmete Gabi Zimmer ganze zwei Zeilen ihrer 20-seitigen Rede. Es gehe darum, „kurzfristig auf der Basis des Völkerrechts und in Abwägung notwendiger, auch repressiver Mittel, die Schuldigen zu ergreifen und zu verurteilen“. Worin die repressiven Mittel bestehen sollen – kein Wort. Und weiter ging’s mit Frieden und Gerechtigkeit.

Während Gabi Zimmer so ausdruckslos vor sich hin redete, fiel ihr eigener Pressesprecher weiter hinten im Saal in einen gesunden Mittagsschlaf. Man hatte gerade vor, es ihm gleichzutun, als plötzlich Gabi Zimmer laut wurde: „Winnie“, rief sie, „welche Vorstellung hast du eigentlich von uns Ostweibern? Glaubst du wirklich, ich sei eine kleine, schwache Frau, die sich von einer Männerriege hin und her schieben lässt?“ Dann folgten fünf Minuten in Zimmers Rede, die man getrost zu den besten fünf Minuten zählen kann, die sie je von sich gegeben hat: energisch, zupackend, führungsstark. Da wachte auch ihr Pressesprecher wieder auf. Und Winfried Wolf, der ultralinke Bundestagsabgeordnete, guckte ganz erschrocken.

Bis Sonnabendmorgen um vier Uhr hatte Gabi Zimmer mit ihrer persönlichen Referentin im Hotelzimmer an der Rede gearbeitet und sich erst im letzten Moment für die innerparteiliche Attacke entschieden. Der PDS-Chefin, die schwer angeschlagen in diesen Parteitag gegangen ist, war wohl klar geworden, dass sie ihre Rolle als Moderatorin wenigstens für einige kurze Momente aufgeben muss, damit sie in den Grabenkämpfen der Partei nicht endgültig untergeht.

Gabi Zimmer griff die orthodoxe Parteilinke frontal an. Sie geißelte deren Verzögerungstaktik im Streit um ein neues Parteiprogramm. Sie bestritt, dass die PDS mit dem von ihr unterstützten Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm einen Rechtsruck vollzieht. Sie wehrte sich gegen die Vorwürfe, sie sei eine blasse Parteivorsitzende und werde von einer Männerriege um den starken Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch instrumentalisiert. Das gehe so nicht weiter. „Mit mir, bitte schön, nicht“, brüllte Zimmer. Der Saal tobte. Und danach war Ruhe in der Partei. Eine sozialistische Art von Frieden.

Dieser Frieden bestimmte den Rest des Wochenendes, und zwar in der Form von Friede, Freude, Eierkuchen. Die Genossen lechzten nach Führung, und die haben sie fünf Minuten lang bekommen. Das reichte, um den ganzen Parteitag zu entscheiden. Alle, aber auch alle Anträge an den Parteitag wurden im Sinne der PDS-Führung entschieden, mit Mehrheiten von 80 oder 90 Prozent. Dresdener Friedensappell, Leitantrag des Parteivorstandes, Programm-Abstimmung – die orthodoxen Linken haben den Platz zugewiesen bekommen, den sie in der Partei tatsächlich haben: den einer Minderheit.

Die Inszenierung ging auf: PDS gleich Frieden, Frieden in der ganzen Welt. Dass sich die Welt noch nicht so richtig danach richtet, über dieses kleine Detail ging der Parteitag fröhlich hinweg. Hauptsache Frieden, vor allem Frieden in der Partei. Der ist jedoch teuer erkauft: mit geistigem Stillstand der Genossen. Nur Gregor Gysi machte am Sonntag mit seiner Rede deutlich, dass man ohne ein paar unbequeme Wahrheiten die Dimension der neuen weltpolitischen Situation nicht begreift. Vor allem, dass man den Terrorismus nicht bekämpfen kann, wenn man ihn nicht wirklich bekämpfen will. „Die Terroristen haben nur unsere volle Verachtung, unseren Zorn und unseren Kampf gegen sie verdient“, sagte Gysi fast wütend, „nichts, aber auch gar nichts anderes.“ Und dann wiederholte er seine Forderung nach Kommandoeinsätzen mit militärischen Mitteln bei der Ergreifung der Terroristen. Da war es plötzlich ganz still im Saal. Vielleicht hat der eine oder andere sogar nachgedacht.

Wenn jetzt eine Friedenstaube aufgestiegen wäre, hätte Gysi sie vermutlich selbst vom Himmel geholt.

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