: „Rache an unschuldigen Menschen“
In Ägypten ist die Kritik an den USA und den Angriffen gegen Afghanistan verbreitet. Doch die Regierung zeigt Verständnis und erhöht die Zahl der Sicherheitskräfte in den Straßen. Proteste könnten den Tourismus gefährden
KAIRO taz ■ Die Zahl der Wachleute ist verdoppelt worden. Sorgfältig kontrollieren sie jeden einzelnen Ausweis, jeden einzelnen Rucksack. Die Sorge um mögliche Anschläge, Demonstrationen oder gar Ausschreitungen an der Amerikanischen Universität in Kairo scheint vorhanden zu sein. Den Studierenden wurde am Montagmorgen dennoch durch eine E-Mail mitgeteilt, dass der Lehrbetrieb unverändert weitergeführt werde. „Hier herrscht Business as usual – trotz der Militärschläge“, sagt Huziefa Hatim, ein kenianischer Student. Auf dem Campus ist es ruhig. Einige spielen Basketball, andere sitzen in bequemen Korbstühlen in der Sonne und diskutieren.
Im Kern sind sich die Ägypter einig: Die Militärangriffe auf Ziele in Afghanistan in der Nacht vom Sonntag auf Montag sind weder rechtens noch politisch sinnvoll. „Es kann nicht sein, dass die USA Afghanistan bombardieren, ohne Beweise vorzulegen“, meint Nouran Badawy, die an der Amerikanischen Universität studiert. „Afghanistan zu bombardieren bringt den Terrorismus nicht zum Erliegen. Im Gegenteil, er wird zunehmen.“ Wie viele Ägypter zieht auch die Ingenieurstudentin eine Parallele zwischen der US-Politik im Nahen Osten und den Anschlägen in den USA: „Die amerikanische Regierung hätte nach den Attentaten besser ihre Politik bezüglich Israels überdenken sollen, anstatt Rache an unschuldigen Menschen zu nehmen.“
Mustafa al-Gindy, UN-Berater im Ruhestand, schlägt in die gleiche Kerbe: „Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, sind zu einigem fähig.“ Er sei durchaus dafür, die Verantwortlichen für die Anschläge des 11. September zu bestrafen, hart zu bestrafen, aber: „Was Terrorismus ist und was nicht, entscheiden nicht die USA allein. Die Reaktion auf die Attentate darf nicht in einem Alleingang bestehen, sondern muss in den Gremien der Vereinten Nationen unter Beteiligung aller Nationen beraten werden.“
Trotz der allgemeinen kritischen Haltung gegenüber der US-Politik blieb es ruhig in Kairos Universitäten. Zu Proteste, wie nach Ausbruch der zweiten Intifada im vergangenen Jahr, kam es nur an der Al-Azhar-Universität, wo sich 4.000 Studenten versammelten. Nur gerüchteweise hörte man etwas von kleineren Kundgebungen an Universitäten ausserhalb der Hauptstadt. Die Behörden hatten allenorts die Sicherheitsvorkehrungen verschärft.
„Die Regierung hat kein Interesse daran, die Leute auf die Straße zu lassen“, meint Oliver Mombartz, Presseattaché in der Deutschen Botschaft in Kairo. „In Ägypten wird in dieser Hinsicht nichts passieren. Allenfalls wird es kontrollierte Demonstrationen geben.“ Das größte Interesse der ägyptischen Regierung bestehe darin, die Ruhe im Land zu bewahren, um das Tourismusgeschäft nicht noch weiter zu gefährden, meinte der Diplomat. Das Auswärtige Amt sieht auch nach den Angriffen auf das Taliban-Regime keinen Anlass, von Reisen nach Ägypten abzuraten. Die Amerikanische Botschaft in Kairo dagegen veröffentlichte wie schon nach den Anschlägen in New York und Washington eine Aufforderung an US-Bürger im Land, sich in der nächsten Zeit möglichst wenig in der Öffentlichkeit zu bewegen und Menschenansammlungen zu meiden. Die ägyptische Regierung unterstütze die US-Vertretung in ihren Bemühungen, für die Sicherheit ihrer im Land lebenden Bürger zu sorgen, hieß es in der Bekanntmachung der Botschaft.
Anders als die Menschen zeigte die ägyptische Regierung am Montag Verständnis für die Angriffe der USA auf Afghanistan. Der Berater von Präsident Husni Mubarak, Ossama el Bas, sprach von einem „Recht der USA auf einen militärischen Gegenschlag“. Voraussetzung dafür seien jedoch schlüssige Beweise gegen Ussama Bin Laden und al-Qaida. Die Regierung sei jedoch besorgt über das Leid des afghanischen Volkes. C. EHRHARDT/C. MEIER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen