Amerika wappnet sich gegen neue Terroranschläge

Die schärfsten Sicherheitsmaßnahmen seit 1945 sollen Attentate verhindern. Experten bezweifeln Wirksamkeit der Kontrollen

WASHINGTON taz ■ Höchste Sicherheitsstufe in den USA. Aus Sorge vor neuen Terroranschlägen sind hier unmittellbar nach Beginn der amerikanisch-britischen Luftschläge gegen Ziele in Afghanistan die schärfsten Sicherheitsmaßnahmen seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Kraft getreten. Terrorrismusexperten von FBI und CIA schätzen jedoch ein, dass etwaige neue Terrorakte als Reaktion auf militärische Angriffe gegen Afghanistan bereits vor den Anschlägen vom 11. September vorbereitet wurden. Sie wären durch die seitdem ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen kaum mehr zu verhindern.

Landesweit stehen Einrichtungen, die nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden bevorzugte Ziele neuer Anschläge sein könnten, unter verschärfter Bewachung, darunter Atomkraftwerke, Wasserkraftwerke, Dämme, Sportstadien und Flughäfen. Bereits Mitte letzter Woche hatten – erstmals in der Geschichte der USA – zum Teil mit Maschinengewehren ausgerüsteteTruppen der Nationalgarde die Bewachung der größten und wichtigsten Flughäfen des Landes übernommen – unter anderem in New York, Washington Chicago, Los Angeles, Houston und Boston. In den Zügen der Eisenbahngesellschaft Amtrak fahren jetzt bewaffnete Polizisten mit. Die Besucher der sonntäglichen Footballspiele werden kontrolliert wie Flugzeugpassagiere. Alle Cruise-Schiffe, die in den Häfen von New York und anderen Städten an der Ost- und der Westküste einlaufen, werden seit vorgestern gründlich untersucht, bevor sie anlegen dürfen.

Cheney an sicherem Ort

Die Bundespolizei FBI ist in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Unmittelbar vor Beginn der Luftschläge gegen Afghanistan brachten FBI-Beamte Vizepräsident Dick Cheney an einen „geheimen, sicheren Ort“, von dem aus er im Falle eines Anschlages auf Präsident George Bush die Regierungsgeschäfte übernehmen könnte. In Washington, New York und anderen Städten wurden Gebäude und Einrichtungen der Bundesregierung und der Bundesgerichte hermetisch abgeriegelt. In New York sperrten Sicherheitskräfte die Umgebung des zerstörten World Trade Centers weiträumig ab. Innerhalb der Absperrung liegen unter anderem die Börse sowie das Bundesgericht, das die Verantwortlichen für das erste Attentat auf das World Trade Center im Jahre 1993 zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt hatte.

Abgesperrt sind auch die Straßen vor dem New Yorker Bahnhof Grand Central Station. Bürgermeister Rudolph Guiliani hat für den Fall „konkreter Drohungen“ oder einer weiteren Eskalation des militärischen Konfliktes in Afghanistan die Sperrung von Tunneln, Brücken und öffentlichen Plätzen der Millionenstadt angekündigt.

Die für vorgestern in Los Angeles geplante Verleihung der Emmy-Awards – des wichtigsten Fernsehpreises der USA – wurde zum zweiten Mal seit dem 1. September verschoben. Die traditionelle New Yorker Parade anlässlich des gestrigen Columbus Day fand gestern allerdings statt.

Mentale Vorbereitung

Bereits in den Tagen vor Beginn der Luftangriffe hatte die Bush-Administration die Bevölkerung auf die Möglichkeit neuer Terroranschläge einzustimmen versucht. Aus einer internen Anhörung vor dem Geheimdienstausschuss des Kongresses wurden gezielt Aussagen von Sicherheitsexperten der Regierung sowie von FBI und CIA lanciert, wonach „im Falle eines militärischen Angriffes der USA auf Afghanistan eine hunderprozentige Chance für neue Terroranschläge“ bestehe. Ähnlich hatte sich bereits Justizminister John Ashcroft geäußert.

Seit über einer Woche werden in den Medien die Szenarien eventueller Anschläge mit biologischen Waffen sowie Schutzmaßnahmen dagegen durchgespielt. Das FBI geht davon aus, dass innnerhalb der USA „zwischen 1.000 und 2.000 Sympathisanten des Terrorismus“ leben, die als potenzielle Täter in Frage kämen. Sie seien in kleinen Zellen organisiert, die unabhängig und oftmals ohne Wissen voneinander operierten.

Ob all die vor und seit Sonntag ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen allerdings neue Anschläge verhindern können, stößt bei Fachleuten auf erhebliche Zweifel. Die aktuelle Ausgabe des New Yorker zitiert Terrorismuseperten von CIA und FBI mit der Einschätzung, dass als Reaktion auf die Angriffe gegen Afghanistan gedachte neue Terroraktionen bereits vor den Anschlägen vom 11. September „geplant und fertig vorbereitet waren“. Die Planer künftiger Terroranschläge hätten auch die Reaktionen der Sicherheitsbehörden auf die Anschläge – zum Beispiel die verschärften Sicherheitsmaßnahmen an Flughäfen – genau einkalkuliert und beobachtet. Die vom New Yorker befragten Experten sprechen von einem „regelrechten Kriegsplan“, bei dem die Terroristen den Sicherheitsbehörden immer mindestens einen Schritt voraus seien und teilweise auch die Richtung der Ermittlungen dirigierten. So sei auch das Hinterlassen bestimmter Spuren – wie zum Beispiel der Fluglehrpläne in arabischer Schrift nebst Anschrift einer Flugschule in Florida, die das FBI unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September in dem Auto eines der mutmaßlichen Täter am Bostoner Flughafen gefunden hatte – „keine Panne“ gewesen,sondern „absichtlich erfolgt“. ANDREAS ZUMACH