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Bomben in die Dunkelheit

Welche Ziele bei den Angriffen getroffen wurden, bleibt unklar. Sicher ist nur: Die Stromversorgung der afghanischen Hauptstadt brach zusammen

von BERND PICKERT

Auch am Tag nach den ersten Luftangriffen der USA und Großbritanniens auf Ziele in Afghanistan ist noch immer nicht klar, was die Attacken tatsächlich bewirkt haben. Sowohl US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als auch sein britischer Amtskollege Geoffrey Hoon verwiesen gestern in Fernsehinterviews darauf, es sei zu früh, den Erfolg einzuschätzen. Nato-Generalsekretär Robertson sagte bei einer Pressekonferenz, er wisse zwar auch nichts, gehe aber davon aus, dass die Angriffe erfolgreich verlaufen seien.

Nach Angaben der US-Regierung und der oppositionellen afghanischen Nordallianz waren insbesondere Flugabwehrstellungen der Taliban-Milizen, die Flughäfen von Kabul, Dschalalabad und Kandahar sowie Ausbildungscamps der El-Quaida-Organisation Ussama Bin Ladens nahe der Grenze zu Pakistan Ziele von Angriffen.

Das US-Verteidigungsministerium teilte mit, an den Angriffen hätten sich 15 auf Land stationierte Langstreckenbomber beteiligt, außerdem 25 von Flugzeugträgern in der arabischen See aus gestartete Kampfflugzeuge. Britische und US-amerikanische Streitkräfte hätten darüber hinaus von See aus rund 50 Mittelstreckenraketen vom Typ Tomahawk abgefeuert. Die Raketen sollen nach US-Angaben ihr Ziel mit 90prozentiger Sicherheit treffen. Sie sind mit je 1.000 Pfund Sprengstoff bestückt.

Auch die wenigen und veralteten Flugzeuge der Taliban-Milizen seien Ziel von Angriffen gewesen. Nach amerikanischen Angaben ist kein afghanisches Flugzeug während der Angriffe aufgestiegen. Bei einer Pressekonferenz des Pentagon sagte ein beteiligter US-Pilot: „Wir sind auf keinerlei Bedrohungen gestoßen, mit denen wir nicht hätten umgehen können.“

Die Aufgabe der Flugzeuge sei es gewesen, mit Dutzenden von 500-Pfund-Bomben die Ausbildungslager Bin Ladens zu zerstören, hieß es im Pentagon. Selbst wenn die Camps leer gewesen seien, erklärte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gestern im CNN-Interview, sei es sinnvoll, sie unbrauchbar zu machen.

Der Botschafter der Taliban-Regierung in Pakistan, Abdul Salam Saif, sagte gestern, bei den Angriffen sei mitnichten zwischen zivilen und militärischen Zielen unterschieden worden. In der Hauptstadt Kabul seien mindestens 20 Zivilisten, darunter Frauen, Kinder und alte Menschen, bei den Angriffen ums Leben gekommen.

Die in Pakistan ansässige Nachrichtenagentur AIP meldete, in der Nähe des Kabuler Flughafens seien zehn Menschen ums Leben gekommen, zehn weitere am Sitz des Taliban-Senders Radio Scharia. Fünf Taliban-Milizionäre seien auf dem Luftwaffenstützpunkt Schin Dand in der Provinz Farah getötet worden. In der Stadt Masar-e-Scharif im Norden seien zwei Taliban-Kommandeure ums Leben gekommen.

Botschafter Salam Saif sagte in Islamabad weiter, bei Farah im Westen des Landes sei es der Flugabwehr gelungen, ein US-Flugzeug abzuschießen. Es gebe „Gerüchte“, dass drei weitere Flugzeuge getroffen worden seien. Das könne er aber noch nicht bestätigen.

US-Verteidigungsminister Rumsfeld dementierte umgehend: Kein einziges Flugzeug sei getroffen worden. Die US-Streitkräfte hätten lediglich die Kontrolle über ein unbemanntes Flugzeug verloren – ob die afghanische Flugabwehr damit etwas zu tun gehabt habe, wisse er nicht, sagte Rumsfeld in einem NBC-Interview.

Welche Ziele wirklich getroffen wurden, bleibt weiterhin unbekannt. Sicher ist lediglich, dass unmittelbar nach Beginn der Angriffe am Sonntag abend in Kabul die Stromversorgung komplett zusammenbrach. Ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AP berichtete gestern aus Kabul, das Leben der Hauptstadt erscheine ruhig und normal, die Märkte hätten geöffnet und Zerstörungen seien kaum zu sehen. Auch in den vier Krankenhäusern Kabuls gebe es keine Anzeichen für Verletzte durch die Angriffe. Doch seien die Menschen nach einer ganzen Nacht der Attacken verängstigt und verstört. Viele würden versuchen, Kabul zu verlassen und in den umliegenden Dörfern Unterschlupf zu finden.

In Kandahar, dem spirituellen und politischen Zentrum der Taliban, seien auch in der Nähe des Hauses von Taliban-Führer Mullah Muhammad Omar Raketen eingeschlagen. Sein Haus oder er selbst seien aber nicht getroffen worden, hieß es in Agenturberichten. Und Taliban-Botschafter Saif bestätigte, Ossama bin Laden halte sich weiter in Afghanistan auf und sei in Sicherheit.

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