: Wohlstand schafft Luxus
Wolfgang Reitzle sucht in seinem Buch vergeblich nach dem Sinn der eigenen Arbeit
Wir verstehen ja jeden, der versucht, seiner Arbeit einen Sinn zu geben. Und, na logisch, je weniger Sinn in dieser Arbeit vorhanden ist, desto anstrengender ist es, ihn zu erläutern. In besonders schwierigen Fällen reicht nicht einmal ein ganzes Buch hierfür aus. Der Stutzerbartträger und Nina-Ruge-Mann Wolfgang Reitzle ist so einer. Er darf die sechs Edelmarken der Ford Motor Corporation verwalten (u. a. Jaguar, Volvo und Aston Martin), und Rowohlt ließ ihn mal den Nutzen seines Jobs beschreiben. „Luxus schafft Wohlstand“ heißt das Ergebnis, und nur selten ist es einem Autoren so gut gelungen, den Titel seines Werks zu widerlegen.
Vergessen wir einmal, dass eine gute Hälfte des Buches belanglos ist: halb verdaute Lektürefrüchte von Thorstein Veblen bis Hans Magnus Enzensberger, die statt Belesenheit nur Beliebigkeit demonstrieren, sowie Führungen durch Reitzles Markenzoo und einige kürzlich veraltete Management-Moden füllen die Seiten. Konzentrieren wir uns lieber auf die drei Thesen:
Luxus ist die Triebfeder der Innovation: „Am Anfang jeden Fortschritts standen Produkte, die völlig überflüssig zu sein schienen“, behauptet Reitzle und steigt gleich mit einer Szene aus einem James-Bond-Film ein. Der Radarschirm, mit dem 1964 Bonds Aston Martin in „GoldenEye“ ausgerüstet wurde, habe die heute gebräuchlichen Navigationssysteme vorweggenommen. In der Tat, „ein sehr schönes Beispiel dafür, wie aus einer höchst exklusiven technischen Idee ein Produkt für den Massenmarkt geworden ist“ – aber wie die meisten technischen Innovationen wurde auch diese nicht entwickelt, weil sie überflüssig schien, sondern weil sie militärischen Nutzen versprach. Dem Militär verdanken wir sicherlich hundertmal mehr Innovationen als dem Luxus, aber Reitzle erwähnt es nicht einmal.
Luxus schafft Arbeitsplätze: Während die Massenproduktion „aus Kostengründen tendenziell auf die Abschaffung der Arbeit hinzielt“, tendiere die Luxusproduktion dazu, „neue, qualitativ hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen“. Eine wunderhübsche These, nur leider ohne Beleg. Mag sein, dass in der Jaguar-Fabrik die Arbeit spannender und anspruchsvoller ist als in der Ford-Fabrik. Mag sein, dass bei Jaguar der Anteil der Arbeitskräfte an der Gesamtwertschöpfung höher ist als bei Ford. Aber wenn jemand, der Topmanager bei einem Luxus- und Massenproduzenten ist, behauptet, dass „Luxusgüter die Arbeit gegenüber dem Kapital aufwerten“, sollte er das aus seiner eigenen Erfahrung belegen. Tut er es nicht, liegt das wahrscheinlich daran, dass er es schlicht nicht kann.
Luxus schafft zusätzliche Nachfrage: „Luxusprodukte werden nicht allein um ihrer Funktion willen, sondern auch um ihrer selbst willen gekauft. Niemand braucht eine zweite . . . Armbanduhr, um zu wissen, wie spät es ist.“ Für Reitzle ist dieses „zusätzliche Absatzvolumen“ der Luxusprodukte sogar „der Kernpunkt, warum Luxus Wohlstand schafft“. Doch auch diese These bleibt beleglos im Raum stehen. Dabei hätte sie ein bisschen Unterstützung gut gebrauchen können – schließlich steht sie im direkten Widerspruch zu der alltäglichen Erfahrung, dass überflüssiges Angebot nur nachgefragt wird, wenn überschüssige Kaufkraft vorhanden ist.
Somit bleibt von der provokativen Behauptung des Buchtitels doch nur dessen wohl bekannte, gänzlich unprovokative Umkehrung übrig: Wohlstand schafft Luxus. Das mag zwar Reitzle für seine Sinngebung nicht reichen. Aber wahrscheinlich hat er seit dem 11. September ohnehin andere Probleme. DETLEF GÜRTLER
Wolfgang Reitzle: „Luxus schafft Wohlstand. Die Zukunft der globalen Wirtschaft“. Rowohlt, Hamburg 2001, 320 Seiten, 39,90 DM (19,90 €)
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