„Lasst uns aus der Nato austreten“

Aus vielen verschiedenen Gruppen kamen die rund 400 Teilnehmer der Pariser Friedensdemo. Sie haben eine Hoffnung: Schnell mehr zu werden

aus Paris DOROTHEA HAHN

Zu Füßen des Obelisken sitzt ein halbes Dutzend Anarchisten. Auf dem Asphalt, wo sich gewöhnlich Tausende ineinander verkeilte Autos anhupen, gehen kleine Grüppchen von Schülern auf und ab. Einer trägt einen Blumenstrauß. Einer hat „Love and Peace“ auf seinen Poncho geschrieben. Eine hat sich mit Sicherheitsnadeln ein DIN-A-4-Papier auf die Jacke geheftet: „Weder Taliban noch Bomben“. Sie schauen zu, wie sie eingegittert werden. In dunkelblaue Kampfanzüge gekleidete CRS-Polizisten riegeln den Place de la Concorde rundum ab. Sie lassen niemand auf den riesigen Platz. Niemanden herunter.

„Am ersten Tag nach den ersten US-Angriffen auf Afghanistan machen wir auf der Concorde eine Kundgebung.“ Darauf hatten sich die Leute geeinigt, die gleich nach den Attentaten vom 11. September in Paris das Netzwerk „Faut Réagir“ gründeten. Unter ihnen alte Vietnamkriegsgegner und linke Katholiken sowie Gewerkschafter der CGT und Vertreter jener selten gewordenen linksradikalen Grüppchen, die auch in den Zeiten einer rot-rosa-grünen Landesregierung noch auf die Straße gehen: Trotzkisten und Anarchisten.

An diesem Montagabend ist der erste Tag nach Kriegsbeginn. Unten in der Métro-Station Concorde läuft eine Ansage vom Band: „Auf Befehl der Präfektur geschlossen.“ Alle Ausgänge nach oben sind verriegelt. Auf den Straßen rundum stehen Hunderte von Mannschaftswagen der Polizei. Wer zu Fuß zur Concorde will, wird auf die benachbarte Rue de Rivoli gelenkt. Dort hat sich eine Gruppe von Demonstranten zusammengefunden. Es mögen 200 Personen sein. Vielleicht auch 300. Sie haben vergeblich versucht, auf den Place de la Concorde zu gelangen. Nun machen sie eine getrennte Kundgebung. Jemand zieht einen Stapel Flugblätter aus dem Rucksack. Er hat seinen Text „gegen den amerikanischen Krieg“ in der ersten Bombennacht verfasst. „Nach Hanoi, Panama, Bagdad und Belgrad ist jetzt Kabul dran“, hat er geschrieben, „lasst uns den US-Banditismus stoppen und aus der Nato austreten.“

Zwischen dem Häufchen auf der Rue de Rivoli und jenem auf dem Place de la Concorde stehen viele dicht geschlossene Reihen von CRS-Polizisten. Sie tragen Helme, Schilder und Knieschützer. Ihre Chefs haben das Ohr am Walkie-Talkie. Sie sind nervös. Ihr Befehl lautet: „Niemanden durchlassen“.

Um 19 Uhr setzen sich die Polizisten in Bewegung. Ihr Kreis um die rund 100 Menschen auf der Platzmitte wird immer enger. Um 19 Uhr 30 ist die Gruppe nicht mehr zu sehen. Sie ist verschwunden hinter einer geschlossenen Wand von dunkelblauen Rücken.

Die Debatten unter den Demonstranten, von denen sich viele nie zuvor gesehen haben, gehen auch im Inneren des Polizeikessels weiter. Eine junge Immobilienmaklerin – „Muslimin mit französischem Pass“ – erklärt einer Gymnasiastin: „Ich zahle immer meine Steuern und ich bin sehr enttäuscht über meinen Präsidenten.“ Sie hält einen Karton hoch, auf den sie in aller Eile geschrieben hat: „Der Islam ist kein Feind.“ Auf Englisch, damit auch die US-amerikanischen Journalisten es verstehen können. Aber es sind keine Journalisten gekommen. Ein 64-jähriger Beamter des Sozialministeriums versucht die Jüngeren aufzumuntern. „Das war am Anfang des Golfkriegs ähnlich“, sagt er, „hinterher wurden die Demonstrationen dann doch sehr groß.“

Die Polizisten drängen die Demonstranten immer weiter weg von der Platzmitte. Gegen 20 Uhr sind sie am Rand der Concorde angekommen. Die Polizei hat sie in einer Nische zwischen dem großen Riesenrad und dem verschlossenen hohen Gittertor vor den Tuilerien eingekeilt. Rund um den Platz werden die Sperrgitter abgeräumt. Auf dem Asphalt verkeilen sich wieder Autos ineinander. Die Pariser Kriegsgegner wollen sich am Donnerstag wieder versammeln. Dieses Mal am Platz der Republik. Er ist entschieden kleiner.