„Der Umsturz muss von innen kommen“

Der ehemalige Mudschaheddin-Kommandant Abdul Haq will den Aufstand gegen die Taliban organisieren.Im Vergleich zu anderen Verhandlungspartnern des Westens hat Abdul Haq eine geradezu weiße Weste

PESCHAWAR taz ■ Im Norden der Stadt Peschawar führt die Khyberstraße kilometerlang vorbei an Lehmhütten und Zeltstädten. Hier leben afghanische Flüchtlinge, viele seit mehr als zehn Jahren. Biegt man von der Hauptstraße links ab und überquert die Gleise der alten Khyber-Eisenbahn, beginnt nach hundert Metern eine andere Welt. Dicht gedrängt stehen prächtige Villen.

In einer der größten residiert Abdul Haq, ehemaliger Kommandant der Mudschaheddin in Afghanistan. Vor knapp zwei Wochen ist er mit einem Stab von Sekretären und Leibwächtern aus Dubai gekommen. Seitdem geht in Peschawar das Gerücht von seinen Verhandlungen mit Amerikanern und Briten – und von seiner führenden Rolle in einer afghanischen Regierung nach dem Sturz der Taliban.

Haq selbst sagt, er wolle nur helfen, „mein Land zur Normalität zu führen“. Er hatte vergebens vor Militäraktionen gewarnt: „Wenn die Bomben Häuser zerstören, treibt das die Menschen zurück in die Arme der Taliban. Afghanistan ist ein spezielles Land, ohne Infrastruktur, aber mit tausenden Bergen und Höhlen. Da können die Amerikaner selbst mit intelligenten Waffen nichts ausrichten.“

Als Mudschaheddin-Führer war Abdul Haq unter Kommandanten und Kämpfern angesehen und galt als hervorragender Taktiker, hatte als Paschtune das Vertrauen der Stammesführer. In der ersten Mudschaheddin-Regierung 1992 wurde er Polizeichef, blieb aber nur 20 Tage im Amt. Als er sah, daß ein Kompromiss zwischen den rivalisierenden Gruppen und damit ein Ende des Bürgerkriegs unmöglich war, verließ er Kabul und ließ sich als Geschäftsmann in den Vereinigten Arabischen Emiraten nieder. Zu seinem Imperium gehört eine Ölfirma und die „Afghan-Khyber“-Fluglinie, die bis zum Verbot durch die Taliban auf der Route Dubai - Kabul wohl nicht nur Touristen beförderte: Im Schmuggelgeschäft sollen Haq und seine Familie zu den ganz Großen gehören. Haqs Bruder, erzählt ein afghanischer Journalist, habe Heroin in den Westen geschmuggelt. Vielleicht war es ein Streit, vielleicht aber auch ein Anschlag der Taliban, der vor Jahren Haqs Frau und Sohn das Leben kostete. Beide wurden in Peschawar ermordet.

Auf der Suche nach Bündnispartnern kann der Westen nicht wählerisch sein. Im Vergleich zu anderen Mudschaheddin-Kommandanten hat Haq geradezu eine weiße Weste. Die Angehörigen der Nordallianz, den neuen Verbündeten der USA in Afghanistan, verbindet eine lange Geschichte von Verrat und Gräueltaten. General Mohammed Fa him etwa, neuer Kommandant der Nordallianz, war lange Zeit Chef des prorussischen Ge heimdienstes und wird von den Afghanen gehasst. Gefährlich, warnt Abdul Haq, könnte es auch im Süden Afghanistans werden: dort seien viele Kommandanten von den Taliban gedemütigt worden und warteten jetzt auf den Zeitpunkt der Ra che.

Abdul Haq sieht die einzige Chance für Afghanistan in einem Umsturz von innen: „Die Afghanen spüren, dass es nicht mehr so weiter geht. Doch sie stehen noch hinter den Taliban aus Angst vor der Nordallianz. Wir müssen ihnen Alternativen aufzeigen.“ Er kenne viele ehemalige Mudschaheddin-Kommandanten, sagt Haq, die in Pakistan oder versteckt in Afghanistan auf den Aufstand warteten: „Das sind erfahrene Kämpfer, für die es leicht ist, Männer und Waffen zu sammeln.“

Also ein Volksaufstand gegen die Taliban? „Der Aufstand muss von den Stämmen kommen. Wenn die Taliban-Soldaten merken, dass die Stammesführer hinter uns stehen, werden viele die Seite wechseln. Selbst die Talibanführer der mittleren Ebene haben schon gemerkt, dass ihr System nicht funktioniert.“

Der ehemalige Mudschaheddin plant eine Regierung der nationalen Einigung unter Führung des großen Rates der Stammesältesten, der Loya Jirga, und des Königs Zahir Schah. Alle ethnischen Gruppen und alle Stämme müssten daran beteiligt sein. „Wir müssen unsere Nation neu zusammensetzen. Wir können es uns nicht leisten, vier oder fünf Armeen zu haben.“

Das klingt zu einfach, um wahr zu sein. Der Teufel steckt im Detail: die klassischen Stammesstrukturen wurden von den Taliban unterminiert. Heute sind etliche Stammesälteste im pakistanischen Exil, andere in Afghanistan im Untergrund, wieder andere auf der Seite der Taliban. Alle sprechen von der Loya Jirga, aber jeder meint damit einen anderen Rat – einen, der den eigenen politischen Zielen dient. Die Chance, dass Afghanistan bald mit einer Stimme spricht, ist klein.BERNHARD ODEHNAL

Der Autor ist Auslandsredaktor derZürcher „Weltwoche“