: Lieblingsstoff von B-Waffen-Entwicklern
Mit dem Milzbrand experimentierten Briten, Sowjets und Iraker jahrelang. Doch damit Terroristen den Erreger so verarbeiten und ausbringen könnten, dass er massenhaft tödlich wirkt, brauchten sie ein enormes Fachwissen
BERLIN taz ■ Milzbrand, auch Anthrax genannt, gehört zu den Klassikern der biologischen Kampfstoffe. Es handelt sich um eine bakterielle Infektionserkrankung, von der vor allem in wärmeren Regionen Rinder, Pferde, Schafe oder Schweine betroffen sind. Durch engen Kontakt mit erkrankten Tieren kann der Erreger auf Menschen übertragen werden. Die Infektion kann sowohl über die Haut geschehen als auch durch Einatmen der Keime über die Lunge oder durch Verzehren befallener Lebensmittel.
Am häufigsten ist der Hautmilzbrand. Über kleine Wunden an Händen oder Gesicht gelangen die Milzbrandbakterien in den Körper. Hautbläschen und im weiteren Verlauf Geschwüre und Blutvergiftungen sind die Folge. Unbehandelt verlaufen fünf bis zwanzig Prozent der Hautinfektionen tödlich.
Weitaus gefährlicher sind Darm- oder Lungenmilzbrand. Die Betroffenen bekommen meist hohes Fieber, Schüttelfrost, Husten und Atemnot, später blutigen Durchfall und Auswurf. Eine Therapie ist nur in einer frühen Phase erfolgversprechend. Möglichst noch vor dem Auftreten erster Krankheitssymptome sollten Antibiotika genommen werden. Ohne Behandlung oder bei verspäteter Therapie verlaufen die Milzbrandinfektionen innerhalb von zwei bis drei Tagen tödlich. Einen von den Behörden zugelassenen Impfschutz gegen Milzbrand gibt es bisher nicht.
In industrialisierten und kühleren Regionen ist die Krankheit sehr selten. In den vergangenen hundert Jahren gab es laut der US-Seuchenbehörde Center of Desease Control in Atlanta lediglich 18 Milzbrandinfektionen bei Menschen. Der letzte Fall wurde in den USA vor 25 Jahren registriert. In Deutschland gab es 1994 die letzte Infektion. Betroffen waren vor allem Tierärzte oder Arbeiter, die direkten Kontakt mit Tieren hatten.
Obwohl Milzbrand keine hoch infektiöse Krankheit ist – eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist sehr selten –, gehören die Anthraxbazillen zu den bevorzugten B-Waffen. Die Briten experimentierten schon in den 40er-Jahren mit Anthrax-Kampfstoffen. Die schottische Insel Gruinard, auf der britische Militärs Anthrax-Bomben testeten, war bis 1997 gesperrt. Erst nach einer aufwendigen Desinfektion wurde die Insel freigegeben. Auch in der Sowjetunion sowie im Irak wurde mit militärischen Zielen an den Milzbranderregern geforscht.
Dass die Milzbranderreger bei B-Waffen-Entwicklern so beliebt sind, liegt an der Robustheit der Keime. Andere potenzielle B-Waffen können in der Regel nur in Flüssigkeiten aufbewahrt und transportiert werden. Sie müssen mit aufwendiger Technik als feine Aerosole ausgebracht werden, damit sie ihre tödliche Wirkung entfalten können. Dagegen lässt sich bei Anthrax aus den widerstandsfähigen Sporen relativ leicht feines Pulver herstellen, das ohne großen technischen Aufwand ausgebracht werden kann. Aber auch hierzu bedarf es enormer Fachkenntnisse: Denn die Lunge nimmt nur Körner einer bestimmten Größe auf, aus denen sich der lebensgefährliche Lungenmilzbrand entwickelt. WOLFGANG LÖHR
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