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Eine Mannschaft wie Kahn

Nach dem 2:1-Sieg gegen Istanbul in der Champions League kann Leverkusens Trainer Toppmöller selbst bei seinen vier deutschen Nationalspielern keine charakterlichen Defizite feststellen

aus Leverkusen ERIK EGGERS

Manchmal greifen die Weisheiten des Fußballs einfach zu kurz. Die tiefsinnige Analyse des Fußballphilosophen Sepp Herberger vom Rasenspiel, das 90 Minuten andauere, wurde jedenfalls am Mittwochabend in Leverkusen stark in Frage gestellt, als sich mit Fenerbahce Istanbul der bis dahin punkt- und torlose Vertreter der Gruppe F der Champions League präsentierte. Für derlei fußballtheoretische Beben waren vor allem die in der BayArena heimischen Akteure verantwortlich, denn diese hatten sich zuvor offenbar auf eine neue zeitliche Dimension des Fußballs verständigt. Das Team nutzte lediglich – eine fast arrogant zu nennende Variante der Kurzarbeit – die jeweils 15 Minuten vor und nach dem Pausengang, um mit 2:1 das gewünschte Ergebnis, den dritten Sieg im dritten Spiel, herzustellen.

Zunächst aber senkte sich Schlafmützigkeit über die Leverkusener Häupter, und so kam es zu in dieser Saison bislang ungewohnten Situationen. Konfusion ist die treffende Vokabel für die Aktivitäten der Gastgeber in der ersten halben Stunde. Symptomatisch eine Situation in der 20. Minute, als der nach vorn gestürmte Nowotny beim Blick auf die eigene Abwehr erkannte, dass sich Placente als letzter Mann an der Mittellinie den beiden schnellen türkischen Stürmern gegenübersah. Aber auch ein hektisches Rückzugsmanöver konnte den Konter, bei dem Lucio fast ein Eigentor unterlief, nicht mehr verhindern.

Selbst ein frühes Tor der Türken, der schöne Schlenzer des starken 23-maligen israelischen Nationalspielers Revivo, den Nowotny mit einem Stellungsfehler an der Mittellinie eingeleitet hatte, konnte die Fesseln der Leverkusener Lethargie zunächst nicht sprengen. Exakt 31 quälende Minuten sollten verstreichen, bis ein harmloser Weitschuss Ramelows den Arbeitsbeginn für den türkischen Nationalkeeper Rüstü markierte. Erst die zunehmend rustikalere Gangart der Gäste sorgte für erhöhten Blutdruck in den Adern der Leverkusener Spieler, wie auch Manager Calmund zur Halbzeit registrierte: „Fenerbahce hat uns regelrecht wachgetreten.“

Zu diesem Zeitpunkt deutete bereits Einiges auf einen Heimsieg hin. Der wieder einmal überragende Lucio hatte nach einem feinen Hackentrick Ballacks für den Ausgleich gesorgt, und den Verlust des Ghanaers Johnson, der innerhalb von fünf Minuten sich zwei Gelbe Karten abholte und anschließend das Publikum mit der sonst von Effenberg bevorzugten Fingersprache provozierte, würden – soviel schien klar – die Gäste selbst durch große Kampfkraft nicht aufwiegen können. Das von Kirsten exzellent vorbereitete Siegtor durch Ballack nach einer Stunde wirkte jedenfalls ziemlich zwangsläufig, und eigentlich hätte da schon der Abpfiff erfolgen können.

Trainer Klaus Toppmöller reagierte auf die spielerischen Mängel und die mangelnde Torausbeute der letzten halben Stunde indes mit gelassener Gleichgültigkeit. Gewonnen ist gewonnen. Stolz verwies er auf die nun 14 Pflichtspiele ohne Niederlage und den Anteil, den deutsche Kicker daran haben: „Mit acht deutschen Spielern haben wir diese Sensation geschafft in der Champions League.“ Das soll wahrscheinlich wie eine rhetorische Vitaminspritze für den leblosen Körper des deutschen Fußballs wirken, vor allem natürlich für das Nationalspieler-Quartett Ballack, Neuville, Ramelow und Nowotny, das nach dem 0:0 gegen Fußball-Großmacht Finnland soviel Prügel hatte einstecken müssen und schon deswegen an diesem Abend jedes Interview verweigerte. Den Eindruck, dass die Vier charakterlos seien, wollte Toppmöller keinesfalls gelten lassen: „Wir haben jetzt viermal einen Rückstand gegen starke Gegner aufgeholt“, resümierte er genüsslich die Partien gegen Schalke, Dortmund, Barcelona und nun auch Istanbul. Und als wolle er seinen Spielern quasi einen charakterlichen Ritterschlag verpassen, verglich er die Einstellung seiner Mannschaft gar mit der von Oliver Kahn: „Nach dem 0:1 beim Saisonfinale in Hamburg ist normalerweise jeder Torwart am Boden zerstört. Kahn aber steht sofort auf. So ist es bei uns im Moment auch.“

Trotz der bisherigen Maximal-Ausbeute auf europäischer Ebene wollte Toppmöller von einer Qualifikation für die Zwischenrunde noch wenig wissen, lakonisch verwies er vielmehr auf die Gesetze der Vierergruppen-Arithmetik: „Möglich, dass man mit 12 Punkten ausscheidet.“ Dass bei einem Sieg Istanbuls in Lyon nächste Woche sogar schon ein Punkt in Barcelona reicht, darauf will sich der Trainer nicht verlassen. Die Begegnung im Stadion Nou Camp fand bei Toppmöller überhaupt keine Erwähnung. Obwohl seine Spieler soeben alles unternommen hatten, die zeitlichen Dimensionen des Fußballs außer Kraft zu setzen, kehrte er lieber zurück zu vertrauten Fußballformeln. „Ich denke von Spiel zu Spiel“, sprach Toppmöller, und das nächste stehe bekanntlich in Cottbus an.

Oder, wie Herberger es auszudrücken pflegte: „Das nächste Spiel ist immer das schwerste.“ Beruhigend, dass manche Gesetze ihre Gültigkeit behalten.

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