Tiefgekühlte Lebensversicherung

Eltern können Stammzellen aus dem Nabelschnurblut ihres Neugeborenen spenden – oder auf eigene Kosten einfrieren lassen, falls ihr Kind einmal erkranken sollte  ■ Von Sandra Wilsdorf

Leben muss man sich leisten können. In einer Zeit, in der medizinisch immer mehr geht, aber die Kassenlage immer weniger erlaubt, wird oft zum Luxus, was Selbstverständlichkeit sein könnte und sollte. Ein Beispiel dafür sind Stammzellen aus Nabelschnurblut.

Sie können im Falle einer Krebserkrankung Leben retten. Die Stammzellen durch Tiefkühllagerung Jahrzehnte zu konservieren, ist technisch kein Problem. Die Krankenhäuser aber haben dafür nicht die Kapazitäten. Also kann man das Nabelschnurblut seines neugeborenen Kindes entweder der Knochenmarkspenderzentrale in Düsseldorf schenken und damit möglicherweise fremdes Leben retten, oder aber die Zellen für den eigenen Bedarf einfrieren lassen. Doch das kostet Geld: Die Leipziger Firma Vita 34 ist das deutschlandweit einzige Unternehmen, das das Blut abholt und konserviert. 20 Jahre Lagerung kosten 3520 Mark, 99 Jahre 6070 Mark. Ein großes Geschäft mit der Angst? Oder ein besonderes Willkommensgeschenk?

Stammzellen sind die Alleskönner des Körpers: Aus ihnen lassen sich Haut- und Nervenzellen gewinnen – und in absehbarer medizinischer Zukunft sogar ganze Organe. Einige Wissenschaftler gehen sogar davon aus, in ferner Zukunft Hirnschäden Neugeborener mit Hilfe von Stammzellen lindern zu können. Eine neue Leber, ein neues Herz, Heilung von Krebs? Mediziner forschen an der Idee, aber die Sache hat bisher noch einige Haken: Erwachsene haben nur noch wenige, schwer zu findende und noch schwerer zu isolierende Stammzellen. Embryonen hingegen sind reich an Stammzellen. In Großbritannien und den USA machen Mediziner sich das zunutze. In Deutschland untersagt jedoch das Gesetz, dass mit Embryonen geforscht wird oder sie sogar zu diesem Zwecke geopfert werden. Eine Lockerung des Gesetzes wird zwar zurzeit diskutiert, dagegen gibt es jedoch erhebliche ethische Bedenken.

Das Nabelschnurblut hingegen ist ebenfalls reich an Stammzellen und kann bei der Geburt einfach und risikolos entnommen werden. Trotzdem findet die Lebensversicherung aus dem Tiefkühlschrank bisher nur einen eher kleinen Markt. „Bei uns kommt das vielleicht fünf- bis sechsmal im Jahr vor“, sagt Professor Volker Lehmann, Leiter der Gynäkologie und Geburtshilfe am Allgemeinen Krankenhaus Altona. Und das bei jährlich etwa 2200 Geburten.

In der Tat gibt es Zweifel, ob das aufwändige Verfahren überhaupt Sinn macht: So bezweifelt Lehmann, dass die Zellen nach 20 Jahren noch so zu gebrauchen sind wie zum Zeitpunkt der Geburt. Und auch die Fachleute für Stammzellentransplantationen – die in Hamburg nur am AK Altona und am UKE vorgenommen wird – haben Zweifel: „Die Stammzellen des Kindes haben nur eine sehr geringe Immunaktivität“, sagt beispielsweise Professor Axel Zander, Leiter der Einrichtung für Knochenmarktransplantation am UKE. Um sie im Kampf gegen Leukämie einzusetzen seien sie deshalb nur wenig geeignet. Die Alternative ist eine Fremdspende. „In der Kartei sind weltweit sieben Millionen Spender. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer davon geeignet ist, liegt bei über 90 Prozent.“

Auch die Menge des Nabelschnurblutes ist ein limitierender Faktor: Vita 34 behauptet zwar, dass auch ein Erwachsener von maximal 66 Kilo Gewicht mit einer Portion Nabelschnurblut geheilt werden kann. Doch das ist umstritten. „Das Volumen ist zu gering, man müsste erst ein Verfahren entwickeln, es zu expandieren“, sagt beispielsweise der Hämatologe Dr. Hans Salwender vom AK Altona. Der Ansatz sei zwar interessant, es könne aber noch Jahre dauern, bis er praktikabel werde. Salwender setzt eher auf den Fortschritt in der Krebs-Heilung: „Schließlich ist auch die erste Chemotherapie erst 1949 durchgeführt worden.“

Seitdem hat es zwar enorme Fortschritte gegeben, aber die Chemotherapie stößt noch an Grenzen, denn man kann die Medikamente nicht beliebig hoch dosieren. „Erst war die Übelkeit dosislimitierend, dann wurde es das Knochenmark, das durch die Chemotherapie zerstört wird“, sagt Dr. Timm Leonhardt, Hämatologe am AK Altona. Könnte man das Knochenmark durch Eigen- oder Fremdspenden ersetzen, könnte man mehr Medikamente geben. Allerdings wächst längst nicht bei allen Krebsarten mit der Höhe der Dosis auch die Chance auf Heilung, meist lindert die Chemotherapie nur. „Nur fünf Prozent aller Krebsarten sind dadurch zu heilen“, sagt Dr. Dietrich Braumann, Leiter der Abteilung für Hämatologie und Internistische Onkologie am AK Altona. Und nur für diese komme auch die Stammzellentherapie in Frage.

Zurzeit arbeiten die Mediziner dabei ganz überwiegend mit adulten Stammzellen. Variante 1: Der Patient spendet sich vor Beginn der Chemotherapie eigenes Knochenmark. Seine Stammzellen können mit Hilfe von Medikamenten hervorgelockt und dann entnommen werden. Das funktioniert jedoch nur, wenn die Krankheit noch nicht zu weit fortgeschritten ist, denn dann sind die Stammzellen bereits zu stark mit Krebszellen durchseucht. Diese Methode hat den Vorteil, dass es keine Abstoßungsreaktionen gibt. Dieses Risiko nämlich ist bei der Fremdspende groß. Generell gilt: Je fremder der Spender, desto höher die Komplikationsrate. „In 15 bis 20 Prozent der Fälle finden wir keinen geeigneten Spender in der Familie und suchen über die großen Datenbanken“, sagt Braumann. Bei etwa einem Drittel werde auch darüber kein geeigneter Spender gefunden oder es ist bereits zu spät, die Krankheit schon zu weit fortgeschritten.

Braumann hält andere Fragen für vordringlicher als die nach dem Einfrieren von Nabelschnurblut. Er setzt sich für eine Entmythologisierung des Krebses ein, „das ist eine Krankheit wie andere auch“. Patienten mit einer Herzinsuffienz, die nicht auf die gängigen Behandlungsmethoden ansprächen, hätten teilweise eine geringere Lebenserwartung als solche mit Krebs. Das Einfrieren von Nabelschnurblut sei zwar ein interessantes Verfahren. Beim gegenwärtigen Entwicklungsstand könne aber noch nicht allgemein dazu geraten werden.