: „Ich bin ein Pseudo-Poet“
Der Eremit aus Montreal: Ein Gespräch mit Leonard Cohen über Pop-Poesie und die Schwierigkeiten des Songschreibens, seine Jahre im buddhistischen Kloster sowie sein neues Album, „Ten New Songs“
von MARCEL ANDERS
taz: Herr Cohen, Sie sind gerade 68 Jahre alt geworden, und gelten als Kultpoet . . .
Leonard Cohen: Ich glaube, die Bezeichnung „Kultpoet“ besagt lediglich, dass sich meine Platten schlecht verkaufen. Oder hat schon irgendjemand Michael Jackson als Kultpoet bezeichnet?
Michael Jackson wird auch weniger für seine poetischen Texte verehrt, oder?
Ich denke, dass er vielleicht mehr über Poesie weiß, als im Allgemeinen angenommen wird. Es gibt schließlich unterschiedliche Auffassungen darüber, was Poesie ist. Für mich ist der Text von „Blueberry Hill“ das Allergrößte, was je geschrieben wurde: „I found my thrill on Blueberry Hill“ – und dann die nächste Zeile: „The moon stood still on Blueberry Hill“. Das hat doch die Qualität eines japanischen Haikus!
Sie jedenfalls sind vor allem für Ihre Poesie berühmt . . .
Ich hatte schon immer eine Vorliebe für Reime. Diese Form bringt nicht nur ästhetische Vorteile mit sich. Eine meiner Lieblingszeilen auf meinem neuen Album heißt: „I don’t trust my inner feelings. Inner feelings come and go.“ Auf diesen Satz bin ich allerdings nur deshalb gekommen, weil die Strophe davor „I know that I’m forgiven, but I don’t know how I know“ lautete und ich etwas brauchte, das sich auf „know“ reimt. Man ist durch die Zwänge des Reims genötigt, sich intensiver mit den Worten und letztlich auch mit deren Qualität auseinander zu setzen.
Aber das Wort Poesie stört mich irgendwie: Es basiert auf dem Urteil von Menschen, die meinen, sie hätten die Autorität, zu bestimmen, ob es sich bei einer beschriebenen Seite um Kunst oder eben nur um eine beschriebene Seite Papier handelt. Ich halte es da lieber mit Serge Gainsbourg und sage, ich sei ein Pseudo-Poet.
Nach acht Jahren Pause haben Sie mit „Ten New Songs“ nun ein neues Album veröffentlicht. Wie lange haben Sie denn daran gearbeitet?
Die Mehrzahl der Stücke habe ich schon vor sechs oder sieben Jahren begonnen. Und einige von ihnen, wie „A 1000 Kisses Deep“ sind immer noch nicht fertig – der Text ist lediglich ein Auszug aus einem längeren, aber unvollständig gebliebenen Gedicht.
Leider ist es falsch, anzunehmen, dass man automatisch einen großartigen Song erhält, wenn man die Idee nur lange genug mit sich rumträgt. Sie können mir glauben: Ich habe manchmal jahrelang an absolut miesen Songs gearbeitet.
An Ihren neuen Songs hat eine Freundin von Ihnen mitgewirkt. Vertrauen Sie bei der Musik lieber auf andere?
Ich bin ein sehr limitierter Musiker: Mir war es nie möglich, aus dem Vollen zu schöpfen. Bildlich gesprochen: Ich stand nie vor einem vollen Buffet und hatte die Wahl zwischen Lachs, Kaviar und Champagner.
Trotzdem habe ich in meinem ganzen Leben erst mit zwei Leuten zusammengearbeitet: Einmal mit Phil Spector – und ansonsten hat mir immer meine alte Freundin Sharon Robinson unter die Arme gegriffen. Ich lernte sie 1979 kennen, und nach und nach hat sich daraus eine richtige Partnerschaft und Freundschaft entwickelt: Ich bin der Patenonkel ihres Sohnes, und unsere Familien stehen in sehr engem Kontakt. Außerdem haben wir beide ein kleines Studio zu Hause.
Es macht vieles einfacher, wenn man nur die Festplatten austauschen muss, und so, unabhängig voneinander, die Arbeit des anderen fortführen kann.
Mit dem Produzenten Phil Spector war die Arbeit wohl anders: Als Sie 1977 zusammenkamen, galt er schon als sehr exzentrisch, oder?
(lacht) Ja, Phil war zu der Zeit wirklich am Rande des Größenwahns. Er stand ganz offensichtlich neben sich, und überall lagen Waffen und leere Schnapsflaschen rum. Wenn wir zu zweit waren, verlief eigentlich alles relativ glatt. Aber sobald andere Leute ins Studio kamen, fing Phil an, verrückt zu spielen.
Wie ich gehört habe, ist er mittlerweile besser drauf – zumindest sagen mir das meine Freunde. Ich selbst habe ihn seit der Zeit nicht mehr gesehen. Wir sind halt beide eher zurückgezogene Menschen. Da ist es fast unmöglich, sich mal zufällig auf einer Party zu treffen.
Gerade erst haben Sie fünf Jahre in einem buddhistischen Kloster verbracht. Was reizt Sie als Juden an dieser Religion?
Es ging mir nicht darum, eine neue Religion zu finden, weil ich mit meiner eigenen nicht im Geringsten unzufrieden bin; ich bin auch nie konvertiert. Doch vor ungefähr 30 Jahren traf ich diesen unglaublich faszinierenden Mann, Roshi. Wie sich herausstellte, betrieb er so etwas wie ein buddhistisches Kloster, und ich war so fasziniert von dem Gedanken, mehr über ihn und seine Art des Denkens herauszufinden, dass ich mich ihm schon immer mal anschließen wollte.
1993, als ich meine letzte Tour beendet hatte, dachte ich mir, dass es langsam an der Zeit wäre; schließlich ging Roshi da schon stramm auf die 90 zu. Also bin ich in sein Kloster eingetreten, habe mir den Kopf rasiert und angefangen, als Mönch nach seinen Regeln zu leben. Das hatte nicht unbedingt etwas mit Religion zu tun. Ich ging dorthin, um meine Freundschaft mit Roshi zu intensivieren.
Anschließend sind Sie nach Los Angeles gezogen. War das nicht ein harter Kontrast?
Viele Menschen haben eine sehr verklärte Vorstellung vom Leben in einem buddhistischen Kloster – dabei ist es dort viel enger und manchmal auch stressiger als in der Großstadt. In der Großstadt machst du deine Tür zu und bist allein, abgeschlossen von der Außenwelt. In einem Kloster dagegen ist die Gemeinschaft ständig zusammen, was zwangsläufig zu Spannungen führen muss. Sinn und Zweck eines solchen Aufenthalts ist es, sich einer Gemeinschaft so sehr auszusetzen, dass man lernt, mit seinen Mitmenschen auszukommen. Alles folgt dem buddhistischen Sprichwort, dass Mönche geformt werden sollen wie „Steine in einem kleinen Beutel“. Es geht also eher um die Intensivierung des Alltags als darum, sich davon abzuschotten.
Also das Gegenteil des klassischen Aussteigertums?
Es ist das genaue Gegenteil. Dein Aufenthalt ist so konzipiert, dass du irgendwann von deiner eigenen Persönlichkeit gelangweilt bist. Es ist bestimmt nicht jedermanns Sache, sich einem derart disziplinierten Tagesablauf unterzuordnen. Genau aus diesem Grund wirst du dort oben auch keine Touristen oder Besucher finden. Es ist nicht unbedingt der geeignete Ort, um seine Ferien zu verbringen.
Dort hat man Ihnen als Mönch den Namen „Jirkan“, „der Ruhige“, gegeben?
Das ist der Name, den Roshi mir gab – er wollte einen Namen, der a) auf den Menschen zutrifft und b) nicht unbedingt Anlass zu Überheblichkeit gibt; er wollte verhindern, dass sich Mitglieder „klarer, fließender Fluss nennen“. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob er meinen Namen auch wirklich so gemeint hat. Sein Englisch war nicht gerade das beste, daher konnte man nie wissen, ob er das auch richtig übersetzte.
Was sagt er denn zu Ihrer Musik? Ist sie ihm nicht zu düster?
Ich erinnere mich, wie wir einmal in einem New Yorker Studio saßen. Wir tranken ein paar Gläser chinesischen Likör, und ich spielte ihm die Songs meines damals neuen Albums, „Various Positions“, vor. Zu der Zeit sagte man mir nach, dass meine Musik viel zu depressiv sei – Journalisten scherzten, man solle den Alben Rasierklingen beilegen, um den Hörern den Selbstmord zu erleichtern.
Doch Roshi schlief während des Hörens einfach ein. Am nächsten Tag, beim Frühstück, fragte ich ihn, ob ihm die Songs denn gefallen hätten. Er antwortete nur: Leonard, du solltest noch traurigere Lieder singen.
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