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Grenzen setzen

Kollektive Entscheidungen bis heute: Der Buchladen im Schanzenviertel besteht seit 22 Jahren  ■ Von Anne Otto

Angefangen hat es 1979. Mit einem Kinderzentrum, in dem es Spielzug und Kinderbücher gab. Der Laden Ecke Bartelstraße/Schanzenstraße war eine alte Bäckerei und wurde „Die Druckerei“ genannt. So hieß vorher ein Laden in Hasselbrook, der Spielzeug verkaufte und mit Kindern eine Zeitung machte. Die mussten aber aus ihren Ladenräumen raus. Das hörten die Gründer aus der Schanzenstraße und riefen an, ob man sich zusammentun solle. Das passierte.

Der Laden war zu dieser Zeit eher ein Projekt. Das Kollektiv wohnte mit zwei kleinen Kindern über dem Laden. Es war nicht geplant, vom Verkauf der Bücher zu leben. Es gab einfach wenig fortschrittliche Kinderbuch-Angebote und kaum alternatives Spielzeug. Eine kleine, feine Auswahl wurde von 20.000 DM Startkapital inklusive Renovierung eingekauft. Bücher wurden in Brotregalen angeboten. Der Laden wollte Platz zum Schmökern sein.

Bald kamen aus ganz Hamburg Leute von Kindergärten und Initiativen. 1979 gab es noch Firmen wie Montblanc und Hermann Laue in der Schanze, mit jeweils um die 500 Beschäftigten. Dann wurden Firmen geschlossen, Räumlichkeiten frei, Wohnungen frei. Studenten kamen in die Schanze, und das Arbeiterviertel veränderte sich. Das Kollektiv des Schanzenbuchladens hat zu dieser Zeit einige Projekte für die Kinder und Jugendlichen des Viertels ins Leben gerufen. Der Mädchenladen in der Bartelsstraße und das Jugendzentrum im Montblanc-Haus sind bis heute erhalten geblieben.

Auch mit dem Bauspielplatz in der Bartelsstraße gab es Verbindungen. „Die Entwicklung des Buchladens ist identisch mit der Entwicklung des Schanzenviertels“, erklärt Peter Haß, einer der Gründer des Buchladens. Mit der ersten Veränderung des Viertels durch Alternative und Studenten wurde im Laden auch nach politischer Literatur und Frauenliteratur gefragt. Später kam auch Belletristik dazu. Das Angebot wuchs. Es hat allerdings Jahre gedauert, bis sich die Mitarbeiter mehr als 400 DM auszahlen konnten.

Der große Schub kam mit dem Umzug aufs Schulterblatt 1991. Denn das ist einfach eine Einkaufsstraße. Das hat den günstigen Standort, der einzige Buchladen zwischen Osterstraße und Elbe zu sein, noch mehr gefestigt. Seit diesem Umzug kann das Kollektiv vom Laden leben. Inzwischen ist das Kollektiv auf elf Leute angewachsen. Es gibt nach wie vor Einheitslohn. Wichtige Entscheidungen werden zusammen getroffen. Es sind in den letzten Jahren jüngere Mitarbeiter dazugekommen, die in „normalen“ Buchläden gelernt haben. Die wollen gar nicht mehr weg. Der Einfluss jedes Mitarbeiters auf die Bestellungen und überhaupt auf alle Bereiche des Ladens und die gemeinsamen Entscheidungen wirken stimmungserhellend. Als die Staatlichen Einrichtungen, wie Kindergärten, weniger Geld hatten, war im Schanzenviertel schon der Multimediaaufschwung in vollem Gange. „Das ist natürlich auch zweischneidig“, sagt Peter Haß. „Trotzdem, die Leute, die hier arbeiten, kommen in ihren Pausen, und bestellen, was sie interessiert, auch teuere Bücher über Grafik.“ Trotzdem bleibt es ein linker Buchladen. Das heißt, die Mitarbeiter bestimmen nach wie vor zusammen, was verkauft wird: nichts Frauenfeindliches, Rechtes, Sexistisches. Manchmal gibt es auch Bestseller, die dem Kollektiv nicht gefallen. Dann kommen zehnmal am Tag Leute und fragen nach dem Buch. Es wird trotzdem immer wieder bestellt und nicht stapelweise in den Laden gestellt.

Es gibt Bereiche, zum Beispiel Kochbücher, die heute nicht mehr so leicht als rechts oder links gelten. Früher gab es ja „Rezepte für Wohngemeinschaften“ hier und „Meine Familie und ich“ dort. Heute darf es schon ein bisschen schön sein, auch in der linken Szene, man trkanakochbuch.

Alle Bücher kennen die Mitarbeiter allerdings heute auch nicht mehr: Reizüberflutung. Aufs Jahr gesehen kommen jeden Tag etwa 20 neue Titel. Davon ist Peter Haß– Lieblingsbuch aus der letzten Zeit ein Buch des Hamburger Verlags Assoziation A. Hoch die, Kampf dem ist der Titel. Dort geht es, am Beispiel von Plakaten, um die autonomen Bewegungen der letzten 20 Jahre. „Das hat auch mit der eigenen Geschichte zu tun“, sagt Peter Haß und klingt zufrieden.

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