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„Wir sind arm. Trefft uns nicht“

Westjournalisten können ein bombardiertes Dorf in Afghanistan besuchen

KARAM ap/rtr ■ Zum ersten Mal seit dem Beginn der US-Angriffe haben die Taliban ausländischen Journalisten die Einreise erlaubt. Sie wurden ins Dorf Karam gebracht und waren unter ständiger Kontrolle der Taliban. AP-Korrespondentin Kathy Graham und Reuters-Mitarbeiter Zeeshan Haider schildern ihre Beobachtungen. Der Reuters-Text erscheint in Normalschrift, Ergänzendes und Widersprechendes von AP kursiv. (Anm. der Red.)

Der Ort, eine Ansammlung von Lehmhütten und Tierställen, rund 60 Kilometer von Dschalalabad entfernt, hat einen vernichtenden Feuersturm aus der Luft erlebt. Nach Darstellung der Taliban wurden bis zu 200 Menschen getötet. Bislang sollen 160 Leichen aus den Überresten der Hütten geborgen worden sein.

Aus den Backsteintrümmern eines Hauses ragt ein Arm. Herumliegende Tierkadaver ziehen Schwärme von Fliegen an. „Ich bitte Amerika, uns nicht zu töten“, sagt Dorfbewohner Hussain Chan. Er habe vier Kinder bei dem Angriff verloren. Er habe nur überlebt, weil er sofort aus dem Haus gerannt sei, als er das Flugzeug gehört habe. Ein alter Mann nimmt ehrerbietig seinen Turban ab und sagt, „Wir sind arme Leute, trefft nicht uns. Wir haben nichts mit Ussama Bin Laden zu tun. Wir sind unschuldige Leute.“ Ein Bauer beklagt, „Ich habe bei diesem Angriff meine vier Töchter verloren, meinen Sohn, meine Frau.“ Dorfbewohner berichten, zwischen 20 und 25 Bomben seien auf das Gebiet in zwei Angriffswellen niedergegangen. Zornige Demonstranten, rund 100 Studenten einer nahe gelegenen Islamschule, begrüßen die Besucher mit Rufen wie: „Nieder mit Amerika“ und „Wir sind bereit für den Dschihad“ (den heiligen Krieg). Ob der Protest spontan oder organisiert war, lässt sich nicht sagen. Die Wut jedoch ist echt. AP spricht lediglich davon, dass „wütende Dorfbewohner mit Schaufeln und Stöcken auf die Journalisten zustürmen. „Sie sind hier, um uns zu töten“, rufen sie. „Sie kommen wegen Informationen, um den Flugzeugen zu sagen, wo sie bombardieren sollen.“ Die Soldaten halten sie zurück. „Hier leben unschuldige Menschen“, sagt der Dorfbewohner Gul Mohammed. „Hier ist keine Militärbasis.“

Die Journalisten sahen mindestens 18 frische Gräber in dem Dorf. (Laut Reuters konnten „die Reporter nur sechs frische Gräber entdecken“.) Über einem kniete ein schluchzender Mann; er warf Steine auf die Gruppe. Dorfbewohner erklärten, weitere Opfer seien in den Bergen begraben worden, wohin viele Menschen geflüchtet seien.

Einige Fragen bleiben offen. Was mit den anderen Leichen geschah, die ausgegraben worden sein sollen, bleibt unklar. Viele von Bin Ladens Organisation genutzte Ausbildungslager sollen sich in der Nähe Dschalalabads befinden. Bewohner der Region sagen jedoch, solche Lager gebe es hier nicht. Gul Mohammad fragt, „Wo ist Ussama? Er ist nicht hier, warum werden wir dann bombardiert?“

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