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Die Reflexe stimmen

Im Plastikkosmos der Popindustrie: Die Galerie Camera Work präsentiert die surrealen Fantasien und hyperausgeklügelten Neo-Pop-Inszenierungen des amerikanischen Fotografen David LaChapelle

Manche seiner Fotos wirken wie Beweismaterial für die Krise des Pop

von RALF HANSELLE

„David LaChapelle sollte man die Kunstlizenz entziehen“, wetterten vor einigen Jahren Autoren des New York Magazine über einen der wohl begehrtesten Jet-Set-Fotografen Amerikas. Was genau die Kunstkritik derart in Rage gebracht hat, ist nur schwer zu eruieren. Vielleicht war es die hautlastige Fotostrecke mit Naomi Cambell für den Playboy oder Britney Spears, die David LaChapelle in knalliger Unterwäsche als Masturbationsikone in den Rolling Stone brachte.

Kunst ist immer dort, wo die Reflexe stimmen. Bei LaChapelle reicht das Spektrum längst nicht mehr nur von MTV bis Vanity Fair, sondern bis zum Alfred Eisenstaedt Award oder in die teuren Fotogalerien dieser Welt.

In Berlin hat man sich nun bei CameraWork des vergleichsweise jungen Werkes David LaChapelles angenommen. Hier liegen die vorherrschenden Farben derzeit irgendwo bei baby-rosa und quietsch-gelb; überhaupt sind die digitalen Color-Prints nicht nur schrill, sie sind auch um einiges bigger than life. Der New Yorker Fotograf und Videoclip-Regisseur hat ein Faible für die realitätsabgewandten Seiten des Lebens: Spätestens seit Erscheinen seines Fotobandes „David LaChapelle Land“ steht der Mann unter Surrealismusverdacht.

Da reicht das stupide Abknipsen von Wirklichkeiten nicht mehr aus: Seine Fotografien sind ausgeklügelte Neo-Pop-Inszenierungen und wirken eher wie Screenshots früher David-Lynch-Filme. Mal werden dutzende Models wie in einer Sardinenbüchse hinter Glas gesperrt, mal bekommen Transvestiten wie Amanda Lepore fette Silikonspritzen in den weit hingestreckten Allerwertesten gedrückt. Mit Surrealismus indes, gestand LaChapelle einmal, habe das dann doch wenig zu tun. Vielmehr sehe er sich als Eskapisten – ein weltflüchtiger Immigrant im Plastikkosmos der Popindustrie. Erstaunlich nur, dass man bei soviel Haut selten an so wenig Erotik gedacht hat. Die Fantasien sind zu hundert Prozent aseptisch. Der Sex hinterlässt keine Spuren, ist Dummy-Erotik - wie heißes Knistern zwischen Ken und Barbie. Trotzdem bedient sich LaChapelle beinahe aller Zeichen, die in Hollywood in den letzten Jahren angefallen sind, um seine Effekte zu erzielen. Von der ewigen Dauerkrause der Pornomiezen, über gängige Tattoo-Motive bis zur Splatteroptik. Für die Fragmentierung von Frauenkörpern hätte er derweil einen Helmut-Newton-Award verdient, und seine Ironie ist oft von Annie Leibovitz oder Herb Ritts geborgt.

Selbst die Heldenstellungen eines James Dean werden von LaChapelle wiederverwertet. Doch der Mann in der Lederkutte, der so lässig über dem Motorradlenker gebeugt liegt, ist nicht Dean, sondern Leonardo Di Caprio, und die Pose flattert dem Knaben am Körper, als wäre sie Mode für Übergrößen. In solchen Momenten bekommen die Foto-Fantasien gar einen Hauch Dokumentarisches. Sie wirken wie Beweismaterial für die Krise des Pop, auch wenn LaChapelle zielsicher von Pop lebt. Aber immerhin, man spürt den Willen zur Selbstkritik.

Bis 23.11., Di – Fr: 11 – 18 Uhr, Sa: 11 – 16 Uhr, Galerie CameraWork, Kantstraße 149, Charlottenburg

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