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: Erotisches Terrakotta

Eine Beziehungsgeschichte zwischen einem Mann und der Stadt New York. Timothy Speed Levitch ist von Beruf Reiseführer und nicht nur in dieser Eigenschaft ständig in Bewegung. Dem „herkömmlichen“ geregelten Leben geht er aus dem Weg, seine Habseligkeiten passen in zwei Reisetaschen, er übernachtet bei Bekannten. Der Fluch der Zivilisation sei die Arbeit, hat Levitch erkannt und sucht deshalb lieber nach der alltäglichen Schönheit des Lebens. Und weil der Mensch trotzdem von irgendetwas leben muss, versucht Levitch, ignoranten Touristen die Schönheiten und das Chaos New Yorks nahe zu bringen: Er singt den Leuten mit quäkender Stimme Gershwin-Songs vor, er weiß, wo Dylan Thomas nach dem sechzehnten Martini ins Koma fiel, und angesichts eines Terrakotta-Gebäudes von Sullivan überkommen ihn erotische Gedanken. Auch das World Trade Center kommt in seiner Stadtführung vor, was dem Film unversehens eine etwas makabre Note verleiht: Levitch empfiehlt, sich zwischen die beiden Türme zu stellen und im Kreis zu drehen, bis einem schwindlig sei. Wenn man dann an den Wolkenkratzern emporschaue, erhalte man den Eindruck, sie würden auf einen einstürzen. Bennett Miller porträtiert in „The Cruise“ einen Mann, den man für einen Exzentriker halten könnte - doch tatsächlich befindet sich Levitch ganz im Einklang mit sich und der Welt. Und falls einmal nicht, dann gibt es immer noch die Pfeiler der Brooklyn-Bridge: Sie geben ihm Hoffnung für die Zukunft.

„The Cruise“ (OmU) 18. 10. - 24. 10. in der Brotfabrik

Das Kino benötigt Stars. Zu dieser - überaus kommerziell gedachten - Erkenntnis kam man zumindest seit den zehner Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und die Bestätigung dieser Maxime lässt sich zweifellos auch in der Filmreihe um die italienischen „göttlichen Diven“ finden, mit der das Arsenal zur Zeit die Menschheit erfreut. In „Neapel sehen und sterben!“ (1924) stellt Regisseur Eugenio Perego den fröhlichen Lockenkopf Leda Gys in den Mittelpunkt seiner Geschichte um die schöne Neapolitanerin Pupatella, die von dem amerikanischen Regisseur Billy ausersehen wird, die Hauptrolle in seinem Film über Neapel zu spielen. Sterben muss hier zwar niemand, doch es bedarf schon einiger melodramatischer Verwicklungen, ehe Pupatella und Billy ein Paar werden können. Neben der temperamentvollen Leda Gys besitzt der Film noch einen zweiten Star: die Stadt Neapel, die der Regisseur in Bildern voller Lokalkolorit eingefangen hat, die gelegentlich die Oberhand über die Dramaturgie zu gewinnen scheinen.

„Neapel sehen und sterben!“ (OmÜb) 21. 10. im Arsenal 1

Angesichts des Interesses, das Francis Ford Coppolas umgeschnittene und ergänzte „Redux“-Fassung von „Apocalypse Now“ bei einer neuen Generation von Kinogängern gefunden hat, verwundert es nicht, wenn nun auch die Dokumentation über die komplizierten und ewig dauernden Dreharbeiten (zeitgenössischer Journalistenwitz: Apocalypse when?) des Kriegsfilmklassikers wieder im Kino zu sehen ist. Die Regisseure Fax Bahr und George Hickenlooper berichten in „Hearts of Darkness: A Filmmaker‘s Apocalypse“ (unter Verwendung von Dokumentarmaterial von Eleanor Coppola) über die ganz alltäglichen Probleme eines Filmemachers: wie er Haus und Hof verpfändet, um die Produktion zum Ende zu führen zu können, wie er zwischenzeitlich den Hauptdarsteller auswechselt und der neue Star Martin Sheen sodann im Dschungel einen Herzanfall erleidet, wie er flucht, wenn das philippinische Militär die für den Film dringend benötigten Hubschrauber zur Rebel-lenbekämpfung abzieht. Überhaupt jammert Coppola viel und gern herum: Wohin ihn seine künstlerische Reise führen wird, weiß er nicht, und was er dreht, gefällt ihm nicht. Und das betrifft interessanterweise ganz besonders jene Szenen, die er in die „Redux“-Version nun wieder eingefügt hat.

„Hearts of Darkness: A Filmmaker‘s Apocalypse“ (OmU) 19. 10. - 22. 10. im Regenbogenkino

Lars Penning