und? wie seid ihr verblieben?:
von ARNO FRANK
Jetzt sitzt sie wie ein eilig zusammengekehrtes Häufchen Elend in meiner Küche, schluchzt Vorwürfe, stammelt Erklärungen und tränt in ihren Tee – die Frau ist völlig fertig. Vor lauter Heulen hat’s ihr schon die Kontaktlinsen aus den Augen geschwemmt. Sie blinzelt und schnäuzt sich. Herrgott, Karin! Was ist denn bloß passiert?
Folgendes ist passiert: Karin, „neu in Berlin“, studiert, barock, nicht blöd, einsam, hatte ein Date mit Armin, Galerist aus Mitte. Sie beschreibt ihn als sanft, eloquent und manierlich: „Wir fanden uns gleich total nett, auf dieser Vernissage. Darum haben wir uns für den nächsten Tag zum Essen verabredet . . .“
Bei Kerzenlicht und karamelisierten Wachtelherzen wandert das Gespräch leichtfüßig von Proust zu Habermas, von Warhol zu Schwitters und landet zappelnd im chilenischen Rotwein: „Der Beste, weil’s die Reblaus nie über die Anden geschafft hat“, weiß Karin. Von Armin. Sie tasten sich also ab, zunächst sprichwörtlich, dann buchstäblich: „Irgendwie war klar: Wir wollen beide. Normalerweise geht das nicht so schnell bei mir . . . aber alles war perfekt“. Er zahlt. Beide schlendern sie noch ein Weilchen über die Boulevards, bald Arm in Arm mit Armin. Der schlägt vor, den Abend bei ihm daheim „ausklingen“ zu lassen. Klingt gut: „Ein geiler Altbau“, schluchzt Karin, „das kannst du dir nicht vorstellen. Vom Balkon aus siehste den Fernsehturm. Neues Parkett. Afrikanische Plastiken. Ein Aquarium mit japanischen Kampffischen. Und ein echtes Klavier!“ Armin spielt darauf „Quatre Petites Mélodies“ von Eric Satie, bis die beiden tatsächlich im Bett landen. „Ach, er war so zärtlich, so rücksichtsvoll. Es hat sich so richtig angefühlt“, seufzt Karin, „ich war zum ersten Mal im Leben ganz Frau“. Als beide endlich einschlafen, rattert schon die erste Straßenbahn.
Armin weckt Karin mit einem Kuss auf die Stirn. Sie erwacht, sieht, dass er schon angezogen ist: „Wenn ich meinen Flieger nach Mailand noch kriegen will, hat er gesagt, muss ich jetzt los“, sagt Karin, „und dass ich einfach die Tür hinter mir zuziehen soll“. Karin schläft also erstmal aus. Steht auf, macht Kaffee, schlendert summend in seinem seidenen Morgenmantel durch die Wohnung und füttert die Kampffische. Dann melden sich plötzlich die Wachtelherzen, Karin geht aufs Klo. „Ich setze also seelenruhig einen Riesenhaufen in die Schüssel . . .“, ihre Unterlippe zittert, „und die Spülung funktioniert nicht. Das Wasser war abgestellt. Wegen Bauarbeiten oder so“. Was tun?
Kurzentschlossen schaufelt Karin ihre Hinterlassenschaft in eine Plastiktüte, „um’s nachher im Hof in den Mülleimer zu schmeißen“. Sie schlüpft in ihre Sachen, ein prüfender Blick in den Spiegel, dann tritt sie in den Flur und lässt die schwere Wohnungstür hinter sich zuschnappen. Und weiter? Die Stimme tonlos, leer ihr Blick: „Ich habe die Tüte mit der Scheiße auf seinem Wohnzimmertisch vergessen.“ Ein Präsent, das Armin bei seiner Rückkehr wohl völlig falsch interpretiert hat. Karin? Eine gebrochene Frau. Eine Reblaus, gescheitert an den Anden.
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