Beutekunst aus der geschlossenen Abteilung

Mit der Eröffnung der „Sammlung Prinzhorn“ auf dem Gelände der Universitätsklinik Heidelberg geht der Streit um den Standort weiter. Eine Initiative von Psychiatrieerfahrenen in Berlin-Brandenburg will die Exponate am liebsten in eine Gedenkstätte für die Euthanasieopfer der Nazizeit eingliedern

Auch die Ausstellung „Entartete Kunst“ zeigte Exponate aus der Sammlung

von PETER NOWAK

Anscheinend zufrieden blickt die Frau mittleren Alters in die Kamera. Mit den Händen stützt sie eine überlebensgroße, mit Stroh gefüllte Puppe, die deutlich erkennbar ein männliches Geschlechtsteil trägt und die sie gerade fertig gestellt hat. Doch die Idylle täuscht. Die Künstlerin Katharina Deitzel war Insassin einer psychiatrischen Klinik und wurde unter den Nazis Opfer der Euthanasiemorde. Schon Jahre vorher wollte sie mit Selbstmorddrohungen ihre Verlegung aus der Isolierzelle erreichen. Vergeblich, die Anstaltsleitung ersetzte lediglich die Matratze in ihrem Bunker durch Stroh.

Das Schicksal der bisher unbekannten Patientin wurde so gründlich erforscht, weil Deitzels Foto samt der von ihr geschaffenen Puppe seit Anfang September an zentraler Stelle in einem Pavillon auf dem Gelände der Heidelberger Universitätsklinik präsentiert wird. Es gehört zu den mehr als 5.000 Bildern, Skulpturen und Texten, die der Psychiater Hans Prinzhorn zwischen 1919 und 1921 gesammelt hatte. In den 20er-Jahren wurden die Exponate in Künstlerkreisen als Sensation gefeiert. Maler wie Max Ernst, Picasso und Breton suchten in den Werken der angeblich Wahnsinnigen jene Ursprünglichkeit, die sie in der realen Welt vermissten. „Es gibt Bilder, die sollte man ernster nehmen als alle Pinakotheken“, erklärte der Maler Paul Klee, nachdem er einige der Exponate gesehen hatte.

Doch das Interesse an den Bildern der Psychiatrisierten währte nur kurz. Von vielen der 435 KünstlerpatientInnen aus deutschen, österreichischen und Schweizer Kliniken sind nicht einmal mehr die Namen bekannt. 16 Künstler sind nachweislich Opfer der Euthanasiemorde unter den Nazis geworden. Auch in den Nachkriegsjahren interessierte sich lange Zeit niemand für die Sammlung. Erst Ende der 60er-Jahre wurden einzelne Kunstwerke in kleineren Ausstellungen öffentlich präsentiert. Seit den 70er-Jahren bemühten sich junge HistorikerInnen und MedizinerInnen um eine angemessene Präsentation der Kunstwerke. Ihr Engagement scheint sich nun gelohnt zu haben: Im September wurde die „Sammlung Prinzhorn“ mit einem großen Begleitprogramm und wissenschaftlichen Kolloquien in Heidelberg eröffnet.

Doch was wie eine späte Erfolgsgeschichte aussieht, rief auch KritikerInnen auf den Plan. Die Antifaschistische Initiative Heidelberg sprach in einer Presseerklärung von einer „Verhöhnung der Opfer“ durch die Präsentation in Heidelberg. Der Landesverband der Psychiatrieerfahrenen Berlin-Brandenburg wiederum will die Prinzhornsammlung in eine noch zu errichtende Gedenkstätte für die Euthanasieopfer in der Nazizeit eingliedern. Sie soll nach ihren Plänen im Zentrum Berlins in der Tiergartenstraße 4 entstehen, wo die Nazis die auch als T4-Aktion bekannten Euthanasiemorde vorbereiteten.

Hinter dem Streit um den Standort verbinden sich auch unterschiedliche Ausstellungskonzepte. Während die Historikerin Bettina Brand-Claussen, die im Auftrag der Universität über die Prinzhornsammlung forscht, dem Namensgeber „eine erfolgreiche Sammeltätigkeit und eine erste, noch heute beachtete Bearbeitung der Werke“ bescheinigt, ist der Arzt für den Sprecher der Psychiatrieerfahrenen, René Talbot, kein Vorbild. „Was Prinzhorn bekannt gemacht hat, ist die Plünderung der künstlerischen Werke psychiatrisierter Menschen für die Gründung eines psychopathologischen Museums. Dabei raubte er ihnen das Letzte, was ihnen als Urhebern gehörte, ihre künstlerischen Werke.“ Zudem habe sich Prinzhorn in den letzten Jahren seines Lebens durch Hitler-freundliche und antisemitische Schriften als Namensgeber der Ausstellung diskreditiert, so Talbot. Auch die Frage der Eigentumsrechte bleibt unter den KontrahentInnen umstritten. Nach der Lesart des Betroffenenverbandes wurden die Kunstwerke den PatientInnen größtenteils ohne ihr Einverständnis abgenommen. Sie sollten daher den wahren Eigentümern oder ihren Erben zurückgegeben werden. Die Klinikleitung hingegen betrachtet die Exponate als Teil der PatientInnendatei, an der sie die Eigentumsrechte habe. Der Kunstcharakter der Exponate habe außerhalb der zeitgenössischen Vorstellungen gestanden.

Doch die plakative Parole der GegnerInnen des Standorts Heidelberg „Keine Beutekunst im Hörsaal der Mörder“ weist auf eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Heidelberger Klinik hin. Schließlich war sie in der Nazizeit die Wirkungsstätte des Neurologen und Psychiaters Karl Schneider. Der Leiter des „Rassenpolitischen Amtes“ war Hauptorganisator des Euthanasieprogramms. Er war auch dafür verantwortlich, dass einige Exponate der Prinzhornsammlung im Rahmen der berüchtigten Naziausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt wurden, mit der gemäß der Naziideologie moderne Kunst als Werk Wahnsinniger und Geisteskranker denunziert werden sollte. Gehörte der Ausstellungspavillon der Prinzhornsammlung zu Schneiders Hörsälen, wie die Psychiatrieerfahrenen an Hand alter Vorlesungsverzeichnisse belegen wollen? Oder gehörte der Raum damals noch zum Bereich der Inneren Medizin, wie Bettina Brandt-Claussen nachgewiesen haben will?

Die Kontroverse um den Standort der Prinzhornsammlung hat sich so zu einer verspäteten Auseinandersetzung um die Vergangenheitsbewältigung an der Heidelberger Universität entwickelt. Zumal mehrere enge Mitarbeiter von Schneider, der 1945 Selbstmord verübte, ihre Medizinerkarriere in der Neckarstadt fortsetzten. Dabei hoffte die Heidelberger Universität, mit der Errichtung eines Gedenksteins für die Opfer der Euthanasiemorde vor einigen Jahren einen Schlussstrich unter dieses Kapitel ziehen zu können. Ein Kompromiss zwischen den beiden Kontrahenten dürfte indes gar nicht so schwer zu finden sein: Da nur ein Bruchteil der Exponate in dem Heidelberger Pavillon Platz findet, könnte mühelos eine weitere Ausstellung in Berlin mit Kunstwerken aus der Prinzhornsammlung bestückt werden.

Die Ausstellung ist im Museum Prinzhorn auf dem Gelände der Universitätsklinik Heidelberg, Voßstraße 2, zu besichtigen. Öffnungszeiten: Di., Do. 11 bis 17 Uhr, Mi. 11 bis 20 Uhr