dopingopfer: Beratung über Entschädigung im Bundestag
Von Beflissenheit bis Verachtung
Die Tugend Fairness wird besonders und immer wieder im Sport beschworen. Umso widersinniger ist es, dass ausgerechnet die dopinggeschädigten Athleten der ehemaligen DDR mühsam um Gerechtigkeit ringen müssen, nämlich um die offizielle Anerkennung ihrer körperlichen Beschwerden und eine entsprechende Entschädigung. „Das systematische Doping in der DDR und der heutige Umgang damit ist eine Erbsünde“, sagte Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Sportausschusses, während einer öffentlichen Anhörung im Bundestag, bei der 15 Sachverständige zu der geplanten Einrichtung eines Fonds für Dopingopfer Stellung nahmen. „Die Politik hat das Thema zu lange ignoriert.“ Und nach der vierstündigen Sitzung waren nur noch wenige Anwesende anderer Meinung.
Vielleicht lag es an den eindringlichen Vorträgen von zwei Sportlerinnen, die ihr persönliches Schicksal schilderten und die heute noch an den Folgen der übermäßigen und ohne ihr Wissen erfolgten Einnahme von Dopingsubstanzen leiden. Besonders bei Frauen haben die in den 70er- und 80er-Jahren verabreichten anabolen Steroide, Abkömmlinge des männlichen Hormons Testosteron, starke Nebenwirkungen, die von Unfruchtbarkeit und anderen gynäkologischen Schäden bis hin zu Herz-, Nieren- und Lebererkrankungen reichen. Die ehemaligen Leichtathletinnen Birgit Boese und Brigitte Michel sprachen stellvertretend für alle Dopingopfer – einige saßen im Besucherbereich – und forderten von der Bundesregierung und Sportverbänden die Zahlung einer monatlichen Rente, da viele Betroffene nicht in der Lage sind, die hohen Arztkosten allein zu tragen. „Es geht bei den Entschädigungen nicht darum, ein Leben in Luxus zu finanzieren, sondern darum, die lebens- und gesundheitlich notwendigen Kosten abzudecken“, erklärte Brigitte Michel. Außerdem beklagte sie, dass viele der damaligen Verantwortlichen heute wieder unbehelligt als Sportfunktionäre oder Trainer arbeiten.
Diese Feststellung belegte der Potsdamer Sporthistoriker Giselher Spitzer prompt: Aus einem Stasi-Dokument gehe hervor, dass der Vizepräsident des Deutschen Ringerbundes, Harold Tünnemann, ein „führender Dopingtäter war, der in der ehemaligen DDR für ein anaboles Fundament gesorgt hat“. Und dieses Fundament stützte den gesamten Leistungssport. Mindestens 10.000 Menschen – meist Kindern und Jugendlichen – wurden leistungsfördernde Mittel verabreicht, bei zehn Prozent ist eine Schädigung als Folge der Steroid-Einnahme sicher festzustellen. „Das sind mindestens 1.000 Fälle“, sagte der Sportmediziner Klaus Zöllig und forderte eine Entschädigungssumme von 15 Millionen Mark. Er ist Vorsitzender des Doping-Opfer-Hilfe Vereins, der mit privaten Mitteln ehemalige Sportler unterstützt. „Bislang haben sich jedoch lediglich 250 Betroffene bei uns gemeldet.“ Scham und Angst hielten die Menschen davon ab, über ihre Beschwerden zu reden. „Meinen Sie, es macht mir Spaß, in der Öffentlichkeit meine gynäkologischen Schäden darzustellen?“, fragte Birgit Boese und verwies auf eine hohe Dunkelziffer.
Ein Umstand, der Kritiker und Gegner eines Doping-Fonds immer wieder dazu veranlasst, das Problem herunterzuspielen. Allen voran der Journalist und geladene Sachverständige Willi Ph. Knecht. In seinen Beiträgen im NOK-Report – der monatlich erscheinenden Zeitschrift des Nationalen Olympischen Komitees – stellt er regelmäßig das Dopingproblem aufgrund der geringen Zahl öffentlich auftretender Betroffener in Frage. Überhaupt hat der NOK-Report in den letzten Monaten die Dopingopfer attackiert und das Thema bagatellisiert. „Es ist eine eindeutig tendenziöse Berichterstattung“, stellte der Journalist und Dopingexperte Hans-Joachim Seppelt fest.
Es ist kein Wunder, dass die Aussage des NOK-Generalsekretärs Heiner Henze etwas schwammig blieb. „Das NOK ist bereit, an Lösungen nach seinen Möglichkeiten mitzuwirken“, sagte er und verwies dabei auf die notwendige Zusammenarbeit mit der Bundesregierung und dem Deutschen Sportbund. Zudem sei eine genaue medizinische Prüfung jedes zu entschädigenden Falles unerlässlich. Es müsse festgestellt werden, dass die körperlichen Beschwerden nicht vielleicht andere Ursachen haben.
„Ein Leberschaden kann schließlich auch durch Alkoholmissbrauch entstehen“, sagte Klaus Müller, Leiter des Instituts für Dopinganalytik in Kreischa. Eine Aussage, die Brigitte Michel nur ein müdes Lächeln entlockte. In diesen Fällen ist der Grat zwischen medizinischer Beflissenheit und Menschenverachtung sehr schmal. Dennoch: Birgit Boese und Brigitte Michel waren nach der Sitzung verhalten optimistisch: „Wir haben vor einigen Jahren nicht geglaubt, dass sich die Politik jemals für uns interessieren wird.“ Entschieden ist jedoch noch nichts. Und ob sich bereits im nächsten Jahr etwas tut, ist unklar: Der Sportausschuss hat nur bis Ende November Zeit, den geforderten Fonds-Grundstock von einer Million Mark in den Haushalt 2002 aufzunehmen. JUTTA HEESS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen