: Rundfunk ohne HörerInnen
Die Nordallianz sendet ein Radioprogramm für ganz Afghanistan – doch nur im Internet. Vor Ort herrscht Funkstille. Nun baut die Menschenrechtsgruppe Droit de Parole ein Friedensradio auf
von ROLAND HOFWILER
In Afghanistans nördlichem Landeszipfel wimmelt es derzeit von westlichen Fernsehteams. Sie alle warten auf den großen Tag, an dem den gegnerischen Taliban-Gruppen der Nordallianz der militärische Durchbruch in Richtung Kabul und Masar-i Scharif gelingt. Wann das sein wird weiss niemand. Und auch wann die Nordallianz endlich mit einem eigenen Radio- und Fernsehprogramm landesweit aktiv wird, steht in den Sternen. Die Mediensituation im „freien Teil Afghanistan“ ist düster –noch unterentwickelter als im Land der Taliban.
Westliche Reporter – wie zum Beispiel im Morgenmagazin von ARD und ZDF dieser Tage zu besichtigen – sind ausnahmslos auf eigene Satellitenverbindungen und Videotelefonate mit der Heimat angewiesen, um überhaupt zu erfahren, was wenige Kilometer südlich von ihnen geschieht.
Bislang „sendet“ die Nordallianz nur im Internet hin und wieder ein eigenständiges Radioprogramm (www.payamemujahid.com/radio), vor Ort herrscht Funkstille. Das soll zwar bald alles anders werden, doch Skepsis ist geboten. Im Land der Nordallianz gäbe es technisch längst die Möglichkeit, ein eigenes Radio- und Fernsehnetz zu nutzen. Politische Streitigkeiten lähmen jedoch jede landesweite Medieninitiative. Was da der Internetauftritt des vor Ort gar nicht zu empfangenden Radio Mudschahed bewirken soll, bleibt schleierhaft.
Mit den westlichen Medienteams kam auch die französische Menschenrechtsgruppe Droit de Parole nach Nordafghanistan. Deren Mitarbeiter bauten nun für die Nordallianz einen Frontsender auf (UKW-Frequenz 96,00 MHz). Radio Solh, Friedensradio, soll die Station heißen, die in und 40 Kilometer um das Städtchen Jabal os Saraj angeblich schon Volksmusik und Nachrichten verbreitet. Bislang fehlt aber eine Empfangsbestätigung durch unabhängige Funkamateure. Und auch bei Droit de Parole selbst ließ sich nicht in Erfahrung bringen, ob Radio Solh wirklich regelmäßig Programm macht oder bislang nur ein Probebetrieb läuft. Das langfristige Ziel sei es, so die Pariser Unterstützer, von einer festen Bergstation aus bis nach Kabul und ins gesamten Panschir-Tal zu senden.
Dabei hatte die Nordallianz bis vor kurzem noch einen starken Mittelwellensender, der mit Einbruch der Dunkelheit überall in Afghanistan gehört werden konnte. Weshalb jedoch Radio Takhar aus der gleichnamigen Provinz plötzlich verstummte, ist auch den Funkamateuren ein Rätsel.
Die Nordallianz selbst begnügt sich derzeit damit, über Lautsprecherwagen in Städten wie Charikar, Jabal os Saraj und Golbahor täglich zur Mittagszeit die neuesten Nachrichten zu verlesen. Auf wie viel Interesse diese archaische Informationsweitergabe bei der örtlichen Bevölkerung stößt, ist nicht bekannt.
In diese mediale Einöde hineinsendet die einzige Fernsehstation, die es in Afghanistan überhaupt gibt: In Feyzabad, der Hauptstadt der Nordostprovinz Badakhshan, geht TV Badakhshan mehrmals wöchentlich zwischen 19 und 21 Uhr Ortszeit auf Sendung. Wer hinter diesem Lokalsender steckt, der nur in Feyzabad zu empfangen ist, darüber ranken sich Mythen. Erstaunlich ist jedenfalls, dass der Nachrichtenblock von der Stimme Irans erstellt wird, mit Filmmaterial aus dem Iran und einigen BBC-World-Sequenzen. Das Programm wird zwar in der Landessprache Dari ausgestrahlt, unterscheidet sich aber nur geringfügig von den Auslandssendungen des Teheraner Staatsfernsehens für Afghanistan. Die iranische Führung gibt offen zu, die Nordallianz militärisch beim Kampf gegen das Taliban-Regime zu unterstützen – Teheran hofft auf einen baldigen Machtwechsel in Kabul. Und es ist ein genauso offenes Geheimnis, dass die Homepage der Anti-Taliban-Kämpfer (www.payamemujahid.com) – von iranische Journalisten mit betreut wird.
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