DIE GLOBALISIERUNG IST NICHT DIE HAUPTURSACHE FÜR DEN NEUEN TERROR
: Eine allzu einfache Formel

Nicht alles, was auf dem Globus passiert, ist hauptsächlich eine Folge der Globalisierung. Dies gilt auch für die Terroranschläge des 11. September. Viele Globalisierungskritiker sehen das allerdings anders: „Diese Art von Globalisierung, die nur wenige Gewinner und sehr viele Verlierer produziert, die Armut, Elend und schreiende soziale Gegensätze hervorbringt, ist der ideale Nährboden für Hass, Fanatismus, Gewalt und Krieg“, sagte Attac-Sprecherin Lena Bröckl unlängst vor zehntausenden Friedensdemonstranten. Eine These, die auch auf dem Attac-Kongress wichtig sein wird, der heute Abend in Berlin beginnt.

Ein Blick auf die Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten zeigt hingegen, dass die Globalisierung dort noch gar nicht richtig angekommen ist. Die Liberalisierung des Handels von Waren, Dienstleistungen und Kapital – das zentrale Phänomen der Globalisierung der vergangenen 25 Jahre – hat sich im Vorderen Orient bislang wenig durchgesetzt. Es gibt kaum eine andere Region, wo unternehmerisches Handeln noch so stark reglementiert wird. Die arabischen Staaten kennen hohe Importzölle, satte Exportsubventionen und allerlei Schutzmaßnahmen, mit denen sie ihre wichtigen Betriebe, die oft mit der politischen Elite verbandelt sind, von der Unbill des freien Weltmarkts abschirmen. Punktuelle Deregulierungen wie die Privatisierung von Staatsbetrieben in Ägypten bestätigen die Regel. Schon daher ist es falsch, die Globalisierung für zunehmende Armut und schließlich Terrorismus in den arabischen Ländern verantwortlich zu machen.

Statt einer Globalisierung der arabischen Welt lässt sich beobachten, dass die Direktinvestition ausländischen Kapitals und damit der Einfluss transnationaler Firmen sogar abnehmen. Die Investoren bevorzugen Asien und Südamerika. Das hat Gründe: Internationale Kapitalanleger können im Nahen und Mittleren Osten oft keine ausreichende Rendite erzielen, weil arabische Firmen bevorzugt werden. Ägyptische Lebensmittelverarbeiter erhalten von einheimischen Banken zum Beispiel oft Kredite, die sie schlicht nicht zurückzahlen müssen – ausländischen Firmen würde es schwerfallen, diesen Nachteil auszugleichen. Investoren gehen auch deshalb ungern in die arabischen Staaten, weil sie dort zu wenige gut ausgebildete Fachkräfte mit technisch-wirtschaftlicher Qualifikation vorfinden. Darin spiegelt sich das unzureichend entwickelte Bildungssystem: Manche arabische Regierung fürchtet, freizügige Lehre und Forschung könnten ihren autoritären Herrschaftsanspruch in Frage stellen. Die jeweilige nationale Wirtschaftspolitik ist somit dafür verantwortlich, dass die ökonomische Entwicklung im Vergleich zu anderen Weltregionen zurückbleibt. Globalisierung und Liberalisierung des internationalen Handels verstärken diesen hausgemachten Rückstand, sind aber nicht seine Ursache. Ein weiterer Standortnachteil kommt hinzu: Kriege und Bürgerkriege wie zwischen Israel und Palästina, im Libanon und im Irak tragen nicht dazu bei, ein positives Investitionsklima zu schaffen.

Anzuzweifeln ist auch das Argument der Globalisierungskritiker, durch die weltweite Deregulierung würden die armen Länder ärmer und die reichen noch reicher. Richtig ist zwar, dass die absolute Differenz zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen etwa in Ägypten und Deutschland in den vergangenen 14 Jahren drastisch zugenommen hat. Trotzdem ist es Ägypten gelungen, das Pro-Kopf-Einkommen zwischen 1987 und 1998 zu verdoppeln (von 680 auf 1.290 Dollar). Damit war Ägypten relativ so erfolgreich wie Deutschland, auch hier wuchs der Wohlstand um 100 Prozent – allerdings auf deutlich höherem Niveau von 14.400 auf 26.570 Dollar. Wichtig ist dabei: Die Verdoppelung der Wirtschaftsleistung bedeutet in einem armen Land wie Ägypten jedoch eine ungleich stärkere Verbesserung des Lebensstandards – während dort plötzlich elementare Grundbedürfnisse finanziert werden können wie eine zumindest rudimentäre Krankenversorgung, so fließt der Zuwachs in reicheren Ländern vor allem in Luxusprodukte.

Ein Problem bleibt jedoch: Der Zuwachs an Wohlstand wird in den arabischen Ländern sehr ungleich verteilt; vor allem schmale Eliten profitieren. Doch ist diese Ungerechtigkeit nicht erst durch die Liberalisierung des Welthandels entstanden, sondern eine Folge der Kolonialzeit. Die allzu einfache Formel „Globalisierung schafft Armut schafft Terrorismus“ lässt sich daher nicht halten.

HANNES KOCH