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Ausweitung der KampfzoneNapalm im Sommer

Nach 22 Jahren haben Francis Ford Coppola und sein Cutter „Apocalypse Now“ komplett überarbeitet. Fünf Walkürenritte durch die neue Fassung

Zum ersten Mal sah ich „Apocalypse Now“ an einem heißen Juli- oder Augustnachmittag in Kiel; zur Sommerlochüberbrückung lief er in einem Programmkino, das es heute nicht mehr gibt. Danach fuhr ich auf meinem indischen Nachbau eines älteren Vespa-Motorrollers zum Strand, sah all die braun gebrannten Menschen, fühlte mich fremd und wurde krank. Sommergrippe.

Was mein gängiger Rezeptionszustand rund um diesen Film werden sollte. Als ich Jahre später Joseph Conrads „Heart of Darkness“ las, lag ich schniefend und fiebernd mit der Lektüre im Bett. In meiner Erinnerung sind Bilder gespeichert, in denen Filmszenen aus „Apocalypse Now“ und Sequenzen, die das Lesen in meinem Innern hervorrief, durcheinander geraten sind. Es war damals ein seltsamer Tag.

Ein Film, der über dich kommt wie ein Schnupfen – das ist natürlich keine sehr attraktive Aussicht (und bei dem Aufwand, den Coppola treibt, auch zu sehr Understatement). Und doch war so ein kleines Angekränkeltsein vielleicht gar nicht der schlechteste Weg, auf diese Bilder – auf Walkürenritt und Napalmfeuer, auf Brandoschädel und Ventilatorenflügel, auf Alkoholtänze und Schlachtfeuerwerk – zu reagieren. Klar ist jedenfalls, dass ich damals niemanden hätte ernst nehmen können, der über diesen Film im Modus strahlender, funktionierender Gesundheit geredet hätte. Wie lautet noch dieses tönende Coppola-Wort: Kein Film über den Krieg, sondern ein Film, der Krieg ist – und noch Jahre nach seiner Premiere einen Aufruhr erzeugt in den Abwehrkräften eines Kieler Zwanzigjährigen.

Auf alle Fälle bietet die Neufassung des Films also eine zugegebenermaßen subjektive Chance: zu testen, ob man als ausgewachsener Mitt- bis Enddreißiger inzwischen vor solchen angekränkelten Rezeptionsweisen gefeit ist. Und dabei darauf zu achten, ob dieses mögliche Gefeitsein eventuell mit dem dezent bohrenden Gedanken eines Verlusts verbunden sein könnte.

Was waren das an jenem Tag nur für Szenen! DRK

„Horror, der Horror“

Wir waren 15, vielleicht auch schon 16. Irgendwie hatte sich ein blutorangefarbenes Plakat von „Apocalypse Now“ in die fränkische Provinz an die Wand des Jugendzimmers meines besten Freundes verirrt. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums leuchtete sein ganzer Stolz, ein riesiges Aquarium. Dessen schummriges, leicht psychedelisch waberndes Licht ließ den kahlen, im Halbdunkel drohenden Schädel von Marlon Brando erst recht unheimlich wirken, während wir uns bei aromatisiertem Tee und Kerzenlicht ausmalten, wie diese Reise ins Herz in der Finsternis wohl aussehen würde. Denn keiner von uns hatte den Film gesehen, auch nicht mein Freund. Er besaß nur das Plakat. Auch die aber, die in einem Kino die Altersbeschränkung durchbrochen hatten, wussten wenig zu berichten. Meist machten sie stattdessen einen verstörten Eindruck. Manch einer stammelte etwas von „Horror, der Horror“ oder, etwas verständlicher, „krank, total krank“. Andere wiederum flüsterten mit leicht irrem Blick: „Ich will nicht darüber reden.“ Wir sammelten die wenigen Informationen, und zu Füßen des Aquariums entstand eine Welt aus Blut und Schrecken und Wahnsinn.

Ungefähr zu dieser Zeit geriet mir die Vorlage, Joseph Conrads „Heart of Darkness“, in die Hände. Das half auch nicht recht weiter, ich legte das Buch nach wenigen Seiten wieder weg. Diese altertümliche Reiseliteratur sollte für all die Aufregung verantwortlich sein? Was zum Teufel hatte das mit Vietnam zu tun? Und wo lag das überhaupt? Das immerhin klärte sich im Laufe der Zeit. Aber Coppolas Meisterwerk blieb ein Mysterium. Erst Jahre später sah ich „Apocalypse Now“ tatsächlich. In Schwarzweiß, auf einem winzigkleinen Bildschirm. Es war großartig. So großartig, dass der Film auf dem kleinen Fernseher beängstigender, beindruckender, bildmächtiger wirkte als selbst in unserer postpubertären, verwegene Sprünge tätigenden Vorstellungskraft.

P.S.: „Redux“ gesehen. Es dürfte nicht viele Filme geben, die die letzten 22 Jahre so gut überstanden haben. to

Bildlegenden

Vietnam war eine langwierige Inszenierung von Bildern. Francis Ford Coppola hat bald 18 Monate an „Apocalypse Now“ gedreht – als müssten sich Krieg und Kino in der Dauer des Konflikts verschränken. Am Anfang, bei der Landung von Marines, sieht man Coppola selbst in einer Nebenrolle den Soldaten zuwinken und sie bitten, sich von den Kameras nicht irritieren zu lassen, man würde bloß „eine Dokumentation drehen“.

Gegen Ende des Films hat Coppola einen Stellvertreter für die eigene Bildproduktion gefunden. In der Kolonie des Colonel Kurtz wird der Suchtrupp von einem Fotoreporter begrüßt. Er trägt ein Stirnband, er hat seine Kameras wie Zapatisten-Colts überkreuz gehängt: Dennis Hopper erinnert an den militanten Flügel der ursprünglich pazifistischen Yippies. Die Zeichen sind labyrinthisch, die Kontexte verworren. Hopper sagt es selbst: Er verteidigt das bestialische Verhalten des Kleinststaatführers, weil man ihn nicht einfach nur nach dem Sichtbaren interpretieren könne. Zugleich bewundert er Kurtz für dessen „simple Dialektik – keine Bruchstücke, nur Liebe und Hass“ wie er sagt.

Mit Hopper wird der Kriegsfotograf zum Mitverschworenen und Komplizen. Das Vorbild hat sich Coppola aus der Realität geborgt und leicht verfremdet: Tim Page war ab 1966 in Vietnam, um die Truppenbewegungen für Time zu begleiten. Bei seinem Einsatz überlebte er eine schwere Hirnverletzung, für die er seinen Arbeitgeber vor Gericht verantwortlich machte. Die Anwälte von Time hielten dagegen: Wer sich freiwillig auf „lebensbedrohliche Aktivitäten einlasse“, müsse verrückt, wenn nicht selber schuld sein. Doch die Argumentation entwickelte sich zum Bumerang: Das Gericht entschied für Page, da sich die Zeitschrift gerade wegen der attestierten Verrücktheit um ihren Angestellten hätte kümmern müssen. Das letzte Wort aber hat Hopper/Coppola, der sich im Film mit einer Strophe aus T. S. Eliots „The Hollow Men“ verabschiedet: „Nicht mit einem Knall, sondern mit einem Wimmern geht die Welt unter.“ HF

Koloniale Soßen

Wer mal in Vietnam gewesen ist, der weiß, dass es dort viel Nudelsuppe gibt, aber auch Kaffee und Baguette am Morgen: ein Überbleibsel der französischen Kolonialherrschaft bis 1954. Nur einmal wird Frankreich in der alten Fassung von „Apocalypse Now“ erwähnt: Chef, der gelernte Saucier aus New Orleans, erzählt, wie er zur Ausbildung nach Paris sollte, dann aber zur Wehrdienstuntersuchung musste. Als er gesehen habe, wie bei der Marine das Rindfleisch grau gekocht wurde, habe er sich lieber zur Funkerausbildung gemeldet – der Amerikaner und sein Roastbeef, auch so ein Motiv in diesem von Kühen bevölkerten Film. In der neuen Fassung nun gibt es eine Nacht auf einer zerstörten französischen Plantage am Fluss, bei einer Famile, die hier Gummi anbaut und Vietnam nie mehr verlassen will: Geister wie aus einer anderen Zeit. Hier macht die Mannschaft Pause, um ihren ersten Toten zu begraben. Abends gibt es ein großes Essen, alles ist in sepiabraunes Licht getaucht, voll kolonialem Kitsch, Korbmöbeln und Spitzendeckchen. Eine stolze Frau nimmt den Raum für sich ein. Später wird sie den Captain bei Dämmerlicht und Morphium verführen. Die männlichen Familienmitglieder politisieren exaltiert. Chef, der Saucier, staunt wie ein Kind über die Haute Cuisine, die aufgefahren wird. Vor so viel Stil und Dekadenz sehen die Amerikaner noch angeschlagener aus. Das Familienoberhaupt – ein Lebemann, der Buch darüber führt, wie oft er seinen Boden verteidigt hat – nimmt ihnen das Wort aus dem Mund, indem er sie fragt, was es eigentlich auf sich habe mit diesem großen Nichts, um das Amerika hier kämpfe.   SM

Helikoptersound

Die Rotorblätter erzeugen nicht einfach ein Geräusch. Sie sind immer da, und wenn sie nicht da sind, dann geistern sie als Ventilatoren durch die drogengeschwängerten Träume von Captain Willard. Manchmal sind sie nur ganz fern im hintersten akkustischen Winkel eines Gesprächs zu erahnen, Natur geworden, fast schon wie eine Mücke, die man vorbeifliegen hört, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Die Rotorblätter sind Generalbass und wahrhaft wagnerisches Leitmotiv von „Apocalypse Now“. Sie sind der Sound des Krieges, und das ist bei Coppola wörtlich zu nehmen. Mit den Rotorblättern kommt alles vom Himmel, was die Zivilisation zu bieten hat, Bier und Bomben, Napalm und die Oper, Surfbretter und Playmates mit riesigen Titten. Die Rotorblätter sind der Puls dieses Films. Ob sich US-Stabschefs beim gepflegten Whisky besprechen, Willard in durchschwitzten Laken halluziniert oder die große Frontline-Sex-Show im Dschungel beginnt – alles was geschieht, bekommt seine Bedeutung erst durch den merkwürdig organischen Rhythmus der Kurbelwelle, die sich in die schwere, feuchte Luft eines fremden, undurchdringlichen Landes hineinschraubt.

Das Rotieren ist hartnäckig. Als abstrakte Synthesizerfantasie durchquert es im Soundtrack von Mickey Hart die Quadratur des virtuellen Dolby-Surround-Raums von ganz links außen nach hinten rechts. Dabei wird es zum kaum mehr identifizierbaren Pochen und Präludium für die Doors. Aus den Rotorblättern taucht die erste Strophe hervor. „This is the end my only friend.“ Und dabei ist das erst der Anfang.

nic

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