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Würdelosigkeit soll Recht werden

■ Bremer Innensenator will ein „Gesetz über den Abschiebegewahrsam“, das bauliche Mängel in Paragrafen fasst. Offiziell sollen „Persönlichkeit und Ehrgefühl der Betroffenen“ geachtet werden

„Persönlichkeit und Ehrgefühl der Betroffenen sind zu achten“, heißt es in Paragraf 3 des neuen Gesetzes über den Abschiebegewahrsam. Das soll die Bremer Bürgerschaft am Mittwoch beraten. Doch wenn dieser Anspruch des Gesetzes nicht vom ersten Tag an eine dreiste Lüge sein soll, muss sich noch einiges ändern.

„Die meisten, die hier sitzen, haben irgendwie Mist gebaut – aber warum behandelt man uns nicht wie Menschen?“, fragt Abschiebehäftling Enver C. Zweck der Abschiebehaft ist die „Verwahrung zur Durchsetzung der Ausreisepflicht“ – mehr nicht. Die Gefangenen haben nichts verbrochen. „Ausreisepflichtige“ wäre eine angemessenere Bezeichnung für die bis zu 30 Personen, die im Polizeipräsidium hinter Glasbausteinen in „Abschiebegewahrsam“ leben. Wie werden sie behandelt? Einige Fälle mögen das verdeutlichen.

Der Weißrusse Vjaceslav B. hatte die Polizei aufgesucht, er hatte Pass und Geld verloren und wollte zurück nach Hause. Die Polizei nimmt ihn in Abschiebehaft. Aus Verzweiflung schneidet er sich die Pulsadern auf. Schließlich verlangt ein Anwalt die Freilassung. Das wird abgelehnt: Er habe sich nicht an die Botschaft gewandt, um Ersatzpapiere zu bekommen. Wörtlich: „Er hat sich zwar mehrfach an die Polizei gewandt, hat dort aber aus sprachlichen Problemen sein Anliegen nicht verständlich machen können.“

Im Gesetzesentwurf steht auch: Abschiebehäftlinge werden medizinisch betreut. Allerdings ohne das Persönlichkeitsrecht auf freie Arztwahl. Selbst wenn sie eigenständig krankenversichert sind, werden sie vom „Beweissicherungsdienst“ der Polizei behandelt. Und das geht so: Ein Vietnamese hat eitrige rote Augen, Bindehautverwachsung. Der zuständige „Arzt im Beweissicherungsdienst“ empfiehlt, einen Teebeutel auf das Auge zu legen. Ein Algerier hat ein Gerstenkorn. Medizinischer Rat: Teebeutel. Ein Russe sitzt mit Verdacht auf Hepatitis isoliert im (leerstehenden) Frauentrakt, obwohl seine Mutter ihm den Pass zugeschickt und ein Bett in einer russischen Klinik reserviert hat. Ein Arzt habe ihn untersucht, sagt er. Eine Blutprobe, Standard bei Hepatitis-Verdacht, sei nicht genommen worden.

Gemessen an der Realität im Gewahrsam klingt es auch wie Hohn, wenn im neuen Gesetz stehen soll: „Abschiebehäftlinge werden sozialarbeiterisch betreut.“ Die Kroatin Savkovic B., auf der Fahrt nach Deutschland ohne Ticket aus dem Zug geholt, wird vom Arzt für „haftfähig“ erklärt. Sie saß wochenlang, zeitweise nur in ein Bettlaken gehüllt, in Bremer Haft und führte Selbstgespräche. Erkennbar psychisch gestört. Sie spricht nur italienisch und kroatisch. Wie konnte der Arzt des Beweissicherungsdienstes Haftfähigkeit attes-tieren? Erst die Intervention des Sozialpsychiatrischen Dienstes erbringt die Diagnose: Chronische Psychose. Die Polizei lässt die Frau laufen – irgendwohin.

Es gibt eine Reihe von Aspekten, die man bedenken müsste, wenn ernsthaft „Persönlichkeit und Ehrgefühl“ der Abschiebehäftlinge respektiert werden sollten. So erfährt mancher der Abzuschiebenden erst am Flughafen, in welche Stadt er fliegen wird. Andere landen im Heimatland ohne einen Pfennig Geld in der Tasche – die deutschen Behörden geben kein Reisegeld. In Abschiebehaft können Familien in der Regel nicht gemeinsam untergebracht werden – das Gesetz nimmt Rücksicht auf bauliche Gegebenheiten. Eigentlich ein rechtstaatliches Unding: Ein Gesetz, das nicht nach den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen die Bau-Norm definiert, sondern nach Maßgabe des Zellentraktes die Persönlichkeitsrechte einschränkt. Dasselbe gilt für das Kochen. Unmöglich. Also fordert das Gesetz dehnungsfähig: „Rücksicht auf religiöse und kulturelle Speisegebote soll genommen werden.“ Die Häftlinge klagen täglich über das deutsche Essen.

Auch sollen Abschiebehäftlinge sich beschweren dürfen – beim Leiter des Gewahrsams. Und einen „Beirat“ soll es geben. Ein unabhängiges Gremium? Keineswegs. „Näheres regelt der Senator für Inneres“, heißt es im Gesetzesentwurf. „Mit diesem Gesetz wird nicht mal ansatzweise versucht, den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte auf ein Minimum zu reduzieren“, sagt Ghislaine Valter von der Flüchtlings-Hilfe „grenzenlos“, die sich täglich um Abschiebehäftlinge kümmert – ehrenamtlich, weil es keine sozialarbeiterische Betreuung gibt.

Klaus Wolschner

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