Soundschrauben fest angezogen

Mercury Rev haben sich von einer Drogen schluckenden Psychedelic-Band zum Rockmonster à la King Crimson entwickelt. Im ColumbiaFritz war deshalb sogar älterer Plattenbörsenadel zugegen, als ihr Bombast niederging

Es war kein Rockkonzert, eher eine Messe und jeder einzelne Song ein Sakrament. Mercury-Rev-Sänger Jonathan Donahue erflehte für sich den heiligen Geist, dieser durchfuhr ihn auch prompt, und fortan war er im ColumbiaFritz der große Zeremonienmeister, verlas verzückt seine Psalme, verwandelte Wasser locker in Wein und wirkte die ganze Zeit wie fremd gesteuert. Nur dass der dramaturgisch wertvolle Nebel kein Weihrauch, sondern Trockeneis war.

Alle Aufmerksamkeit gebührte ihm, Donahue, dem Charismatiker der Band, dem einzigen Charismatiker der Band, der Rest war am Ministrieren, alle machten ihren Job gut, doch niemand fiel größer auf. Von der sterbender Schwanpose bis zur demonstrativen Entrücktheit ließ Donahue kein liturgisches Element zur Selbstinszenierung aus, alles erschien arg pathetisch, doch nie peinlich. Es war nicht nur die eigenwillige Stimme dieses Mannes, die ähnlich geknödelt daherkommt wie die von Bob Dylan, die da ihren Bannstrahl aussandte; es war die ganze Aura eines neben sich Stehenden, dem man all diese übertriebenen Gesten bereitwilig abnahm und über dem man beim genaueren Hinsehen tatsächlich irgendwann einen Heiligenschein erkennen konnte.

Kaum auszudenken, dass es für diese Band ein Leben vor ihrem Sänger gab. Doch dem ist so. Die Geschichte von Mercury Rev ist nicht die von einer Band, die schnell zu Ruhm kam, um sich fortan darauf ausruhen zu können. Seit gut zehn Jahren sind sie mit dabei, doch anfangs, mit dem anderen Sänger, war auch alles andere anders. Zuständig für drogengeschwängerten Paisley- und Psychedelic-Rock, waren sie zu Beginn nur leidlich erfolgreich, und im direkten und gerne gezogenen Vergleich mit einer anderen großen Band des Ausufer-Pops haftete ihnen immer ein wenig der Ruf an, die Flaming Lips für Arme zu sein.

Mit ihrem vor drei Jahren erschienenen Album „Deserter’s Song“ änderte sich dann alles. Mit undifferenzierten Klangbildern und etwaigen Ungenauigkeiten war nun Schluss. Die Platte war ein Bombastkitschgemälde auf großer Leinwand, in den Songs schmolzen Streicher dahin, und eine singende Säge rundete den Wall Of Sound ab. Zu diesem Zeitpunkt beschlossen Mercury Rev, der Menschheit fortan ihre Träume mitzuteilen, von mystischen Märchenwelten zu erzählen und zu den King Crimson der auslaufenden Neunziger zu werden.

Seitdem finden Mercury Rev alle rasend gut. Auch ihre aktuelle Platte „All Is Dream“ ist wieder so ein Superding geworden, wie es Bescheidwisser besonders gerne haben. Hier kann man sehr schön über den Einfluss Phil Spectors dozieren und darüber munkeln, dass sogar der große Jack Nietzsche an ihr Hand hätte anlegen sollen, wenn er nicht verstorben wäre.

Gourmet-Pop könnte man das nennen, wofür Mercury Rev heute stehen: detailversessen, ausgefuchst, alle Soundschrauben fest angezogen. Rockkritikermusik. So waren auf dem Konzert auch einige zugegen, von denen man meint, sie von den Plattenbörsen her zu kennen, wo Plattensammler unter sich sind und sich übers Plattensammeln austauschen. Ältere Herren, die sicher schon alles gesehen haben – inklusive der erste Deutschlandbesuch der Stones. Und nun gab es für ein Konzert von Mercury Rev aber nochmals einen Abend von der Familie frei. Ein hart gesottenes Publikum also, das sich, obwohl es beinahe zwingend erschien, in den rührendsten Momenten des Konzerts dennoch nicht zum Feuerzeugschwenken zwingen lassen wollte. Was etwas schade war. Und das trotz der stimmungsvollen Lightshow und trotz eines Pathos, auf das selbst CNN in seinen besten „Amerika trauert“-Momenten neidisch gewesen wäre. ANDREAS HARTMANN