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Zusammengeträumte Ferne

„Aus dem Kopf gefallen“: Facettenreiche Zeichnungen junger Hamburger Künstler sind am Valentinskamp ausgestellt  ■ Von Hajo Schiff

Eine verrufene Gegend war der Valentinskamp im 19. Jahrhundert, doch von den schummerigen Lokalitäten in winkligen Bruchbuden ist heute nur noch wenig übrig. So ist es schon architektonisch interessant, wenn plötzlich Kunst in ein traufständiges Fachwerkvorderhaus des 17. Jahrhunderts einzieht.

Aber auch die Liste der neun Künstlernamen bietet ein breites Spektrum gerade solcher junger Hamburger KünstlerInnen, die auf Ausstellungen bisher besonders auffielen oder vor kurzem mit dem Hamburg Stipendium ausgezeichnet wurden. Die staatliche „Sprin-ckenhof-AG“ hat ihnen jetzt in zwei mit einander verbundenen, anderthalbstöckigen, edel sanierten Räumen eine Interimsnutzung gestattet. Gezeigt werden zwischen Holzständern und Stuckdecken Zeichnungen, ein Medium, das in größeren Ausstellungen sonst eher vernachlässigt wird.

Zeichnung ist eine „vornehmlich linear strukturierte Darstellung einer gesehenen oder gedachten Gegebenheit“, weiß das Lexikon der Kunst zu vermelden, „die besondere Qualität der Zeichnung besteht zu einem hohen Maß in Spontaneität, da sie unmittelbar von der Hand des Künstlers stammt...“. Im 16. Jahrhundert war die Zeichnung, das Disegno, über seine Möglichkeit der präzisen Fixierung hinaus, geradezu ein Synonym für die künstlerische Erfindungskraft, und das gilt mehr oder weniger noch immer, auch wenn manche junge Künstler vielleicht stattdessen lieber an das Vorbild der Comics denken.

Christoph Bannat ist solch ein Bilderzähler, der in der hier gezeigten Serie die heimische Badewanne zum Zentrum der Handlungen macht. Seine Zeichnungen haben nicht nur etwas von einem Filmset, sie thematisieren genau diese Medialität, indem in den manchmal beängstigend komplexen Weltausschnitten meistens das Licht des Fernsehens und der Filmkamera auftaucht.

Eher installativ und spielerisch geht Frank W. Jacobs mit seinen Bildnotizen um und arrangiert sie samt Franz von Assisi, Kini Ludwig, Sexbildchen, Wollfäden und Papierschlangen über Eck. Zeichnungen sind das ideale Mittel für ein visuelles Tagebuch – und Kyung-hwa Choi-ahoi nutzt das ganz systematisch: Hier zeigt sie die Blätter von September 2001, wobei für Tage ohne Bildproduktion ein leeres Blatt als Stellvertreter steht.

Wie sich in fast surrealistischer Weise Formen auseinander herleiten, zeigt Marion Roters, während Sonja Vordermaier Spiegelungen von Badenden untersucht. Gunilla Jähnichen bringt eine ihr selbst leicht ähnliche Figur in eigenartige Positionen und Situationen, etwa mit einem schlafenden Eisbären. Auch Katia Kelm liebt seltsame Kombinationen, wobei ihre hier gezeigten Zeichnungen am ehesten noch Skizzen für ihre Skulpturen aus Knetmasse abgeben.

Als größte Arbeit präsentiert sich die präzise erfasste Exotik in den plakatgroßen Feinzeichnungen der Kanadierin Linda McCue. Mit Plastikstuhl und Coladose zwischen Urwald-Palme und Wüsten-Welwitschia verwandelt die Wahlhamburgerin eine aus Einzelzeichen zusammengeträumte Ferne in einen unmöglichen Albtraum ubiquitärer Versatzstücke.

Und wovon träumen kleine Mädchen? Von Pferden. Und wenn sich Künstlerinnen wie Mari Susanne Kollerup daran erinnern, können sie das mit jenem Hauch von naivtuender Ironie zeichnen, als ob sie wirklich noch auf dem Land in Dänemark herumtollen würden und nicht schon die Akademie hinter sich und 1999 das Hamburg Stipendium erhalten hätten.

Die mit dem Zeichenstift niedergelegte, aus dem Geist geborene Formidee ist heute durchweg jenseits der Realität auf einer Insel der Ironie zu Hause und sendet von dort kleine kritische Leuchtblitze in die normale Welt gewöhnlich unhinterfragter Zusammenhänge.

Aus dem Kopf gefallen, Valentinskamp 34, bis 28. Oktober, täglich 14 - 20 Uhr; Finissage mit der Chanson-Gruppe Premiere Projekt: Samstag, 27. Oktober, 21 Uhr; Kataloge der beteiligten KünstlerInnen sind erhältlich.

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