Vatikanische Diplomatie

Ulrike Koltermanns kundige Studie zu Erfolgen und Versagen der päpstlichen Politik im Nahen Osten

Der Vatikan spielt eine Doppelrolle als diplomatischer Akteur und religiöse Autorität

Obwohl über den israelisch-palästinensischen Konflikt zahllose Darstellungen vorliegen, bietet Ulrike Koltermann mit ihrem Buch über die Politik des Vatikans im Nahen Osten neue Aspekte. Zwar werden die zeitgeschichtlichen Ereignisse nur aufgegriffen, soweit sie für die Politik der katholischen Kirche relevant sind. Aber nach Lektüre der 350 Seiten werden Nahost-Interessierte auf jeden Fall viel mehr über die Politik der Päpste erfahren haben, als sie jemals für möglich hielten.

Der Vatikan ist zunächst ein eher symbolisches Staatsgebilde, das lediglich 44 Hektar umfasst. Vor allem aber ist die römisch-katholische Kirche die einzige Glaubensgemeinschaft, die auf internationaler Ebene Völkerrechtssubjekt mit dem Status eines Ständigen Beobachters bei den Vereinten Nationen ist. Damit ist bereits das Wesentliche gesagt. Denn die Politik des Vatikans im Nahen Osten bewegt sich zwischen den Polen einer spirituell-moralischen Autorität, die sich um den Status religiöser Minderheiten sorgt, und eines diplomatischen Akteurs auf dem internationalen Parkett.

Koltermann arbeitet drei Hauptinteressen heraus, die die Nahost-Politik des Vatikans in den letzten fünfzig Jahren bestimmt haben: der Status von Jerusalem, die Lage der christlichen Gemeinschaften in der Region und eine Lösung des israelisch-arabischen Konflikts. Bei der Frage des Status von Jerusalem konstatiert die Autorin ein Scheitern auf der ganzen Linie. Von einer Internationalisierung der Stadt oder internationalen Garatien zum Schutz der so genannten heiligen Stätten – eine Politik, die der Vatikan in Abstufungen seit 1947 verfolgte – kann bis heute keine Rede sein. Auf diesem klassischen Feld der Nahost-Diplomatie hat der Vatikan, so Ulrike Koltermann, versagt.

Es wäre jedoch falsch anzunehmen, der Vatikan hätte sich mit seinen Forderungen von Anfang an in eine Außenseiterposition begeben – das zeigt etwa die UN-Resolution 181 zur Internationalisierung Jerualems aus dem Jahre 1947. Eher schon ist es so, dass alle Bemühungen, den Status Jerusalems zu verändern, an der ablehnenden Haltung der jeweiligen israelischen Regierungen gescheitert sind.

Durchweg positiv beurteilt Koltermann dagegen die vatikanische Politik gegenüber den palästinensischen Christen, von denen rund 70.000 die Autorität des Papstes anerkennen. Galt die Aufmerksamkeit zunächst vor allem dem eigenen Besitz und dem freien Zugang zu den „heiligen Stätten“, so rückten nach dem Krieg von 1967 die örtlichen christlichen Gemeinschaften und damit die Menschen stärker in den Focus der vatikanischen Politik, da der Krieg eine große Flüchtlingswelle ausgelöst hatte und die Zahl der Gläubigen deutlich zurückgegangen war. Der Vatikan leistete Hilfe unabhängig von der Religionszugehörigkeit und unterstützte Bildungseinrichtungen, um weitere Abwanderung zu verhindern. Die Ortskirche erhielt mehr Gewicht, auch im Zusammenhang mit der ersten Intifada. Dies wurde verbunden mit dem Bemühen um Rechtssicherheit für die christliche Gemeinschaft und einen akzeptablen Lebensstandard für die Einzelnen.

Zu Enttäuschung aus palästinensischer Sicht führte die Aufnahme von Verhandlungen mit Israel, da der Vatikan damit ein wichtiges Druckmittel aufgab. Im langwierigen Prozess dieser Annäherung sorgten nicht nur Probleme wie Jerusalem oder die Stellung der Kirche für Dissonanzen. Von israelischer Seite sah sich der Vatikan vor dem Hintergrund der Judenvernichtung Vorwürfen einer judenfeindlichen Haltung ausgesetzt. Die Doppelrolle des Vatikans als diplomatischer Akteur und religiöse Autorität lässt sich an diesem Beispiel besonders gut illustrieren. Die reservierte Haltung gegenüber Israel, so die Autorin, habe letztendlich dazu beigetragen, dass der Vatikan im palästinensisch-israelischen Konflikt nicht als von beiden Seiten akzeptierter Vermittler auftreten konnte. Es muss jedoch bezweifelt werden, ob die Palästinenser einer Vermittlung des Vatikans zugestimmt hätten, wenn dieser eine israelfreundlichere Position an den Tag gelegt hätte.

Dadurch, dass Koltermann dem Verhältnis zwischen Vatikan und Ortskirche einen schon fast beispielhaften „Modellcharakter“ auch für andere Regionen zuweist, kommt sie in ihrer abschließenden Bewertung zu der Empfehlung, der Vatikan sollte verstärkt politischen Einfluss durch seine Ausstrahlung als Glaubensgemeinschaft ausüben und weniger als Akteur auf diplomatischem Parkett. Damit stellt sie im letzten Satz ihres kenntnisreichen und gut lesbaren Buches den Status des Vatikans als Völkerrechtssubjekt indirekt infrage, ohne Konsequenzen einer Statusänderung auch nur anzudeuten. Ihre Bewertung der Politik der Päpste erfolgt aus der vatikanischen Innensicht heraus und zieht regionale und internationale Faktoren nicht in Betracht. BEATE SEEL

Ulrike Koltermann: „Päpste und Palästina. Die Nahostpolitik des Vatikans von 1947 bis 1997“, 382 Seiten, Aschendorff Verlag, Münster 2001, 98 DM (50,11 €)_________Zum israelisch-palästinensischen Konflikt ist kürzlich das empfehlenswerte „Nahostlexikon“ erschienen. Herausgeber sind Gernot Rotter und Shirin Fathi vom Orientalischen Seminar der Universität Hamburg. Das Lexikon informiert in knappen Texten sachlich und fundiert über die historischen Hintergründe des Konflikts, die Beteiligten innerhalb und außerhalb der Region, wirtschaftliche und religiöse Probleme. Zudem ergänzen eine Zeittafel und eine umfängliche Literaturliste die Beiträge. Besonders nützlich ist der von Georg Stein zusammengestellte Webguide mit wichtigen Internetadressen, die aktuelle Informationen zum Thema bieten. dahGernot Rotter/Shirin Fathi (Hg.): „Nahostlexikon. Der israelisch-palästinensische Konflikt von A–Z“, 548 Seiten, Palmyra Verlag, Heidelberg 2001, 49,80 DM (25,46 €)