: Die Stichwortgeber
Zusammenhalt, jetzt! Obwohl vielen Clubs die Schließung droht, wird Berlin auf mehreren neuen Compilations als Soundlabor gefeiert – ohne damit politische Forderungen zu verbinden
von ANDREAS HARTMANN
Die Stadt wird immer dann gerne überhöht und auf Geheimnisse durchleuchtet, wenn sie sich gerade im Aufbruch befindet. Auch wenn Subkulturen immer versuchen, eine eigene Dynamik innerhalb einer Stadtmutation zu entwickeln, werden sie durch die äußeren Umstände mitbestimmt und entwickeln sich in einer asymmetrischen Verzahnung mit ihrem urbanen Schoß. Die gegenseitige Bedingung von Stadt und Szene lässt sich in Berlin paradigmatisch aufzeigen. In den finsteren Kalter-Krieg-Achtzigern war es in Westberlin gleich nochmals finsterer als im Rest der Republik. Die Mauer ging durch das Herz der Stadt und machte den eingezäunten Moloch krank. Bands wie die Einstürzenden Neubauten oder Mutter reproduzierten das vorherrschende Gefühl von Verfall und Bedrücktheit und der sich dekadent gerierende Pop-Adel von Nick Cave bis David Bowie suchte gerade dieses Gefühl, um sich darin zu suhlen. Zu dieser Zeit befand sich die Berliner Subkultur noch in konkreter Opposition zum Bild einer Weltstadt mit Herz, wie man es sich im Berliner Senat wünschte.
Mit dem Fall der Mauer und dem Aufstieg von Techno entwickelte sich zunehmend eine Allianz zwischen einer mainstreamgerechten Vermarktung Berlins und seiner Subkultur. Techno-Compilations wie „Auferstanden aus Ruinen“ kolportierten den Selbstentwurf einer Stadt in der Erneuerung, wie sie sich ein Berlin-Reiseprospekt nicht besser hätte ausmalen können. In Berlin, da geht wieder was. Die Ruinen des Ostteils der Stadt, meist Räumlichkeiten in denen die Besitzverhältnisse noch nicht geklärt waren, wurden betanzt, und bald ging die Glorifizierung einer „befreiten“ Jugend um die Welt. Ganz zu schweigen von den Bildern der Love Parade, die sich in bester Eintracht zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule schlängelte.
Berlin war aufregend, wahlweise die aufregendste Stadt Deutschlands oder Europas. Trendreports aus Mitte gingen um die Welt, nach der Gründungswelle von Technolabels zogen Firmen für Gitarren- oder Dazwischenfraktionen nach, und Clubs begannen sich langsam aus der Illegalität in Richtung Businessstruktur hochzuarbeiten. Man war zu diesem Zeitpunkt noch so mit sich selbst beschäftigt, dass man gar nicht auf die Idee kam, einmal Resümee zu ziehen, anzuhalten und das bereits Erreichte zu beklatschen. Ein Schlachtruf der Technofraktion lautete: „Forward ever, backward never!“ Alles lief bestens, und trotzdem kam seltsamerweise niemand auf die Idee, so richtig stolz auf Berlin sein zu müssen.
Erst jetzt, ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem Berlin zwar immer noch für einige musikalische Impulse sorgt, den subkulturellen Vernetzungen aber ein eisiger Wind durch die totale Hauptstadtmobilisierung entgegenschlägt und Mitte für Nichtangehörige der New Economy kaum mehr begehbar ist, wird man förmlich überschwemmt von Samplern, die beinahe wahllos mit dem Stichwort „Berlin“ herumfuchteln. „Berlin Soul Starvation“, „Berlin 2001“, „Hotel Stadt Berlin“, „Berlin macht Schule I-III“ sind allesamt dieses Jahr erschienen, in einem Jahr also, in dem ein Großteil der etablierten subkulturellen Infrastruktur der Stadt bedroht ist und gleichzeitig das Major-Ungetüm Universal in die Stadt gelockt wird. Die Szenarien sind bekannt: Das Maria am Ostbahnhof, der Tresor, das Casino, das Ostgut und das WMF sind akut von der Verdrängung bedroht. Leuchttürme, die die Stadt überhaupt erst zu dem gemacht haben, was sie ist. Der Senat ist zu solchen Opfern bereit, weil er denkt, Berlins Anziehungskraft liege eventuell in vergammelten Stücken Restmauer oder der Hochkulturlandschaft. Dabei kommen zumindest junge Menschen wegen Nachtleben und Clubkultur nach Berlin.
Hier geht es um Politik, fehllaufende Politik. Und sämtliche Macher genannter Compilations beeilen sich, zu betonen, dass sie natürlich auch nicht einverstanden sind mit den akuten politischen Defiziten, sie wollen einfach bloß, logisch, an eben dem Berlinboom partizipieren, den sie mit verantwortet haben. Ellen Allien, auf deren Label Bpitch-Control „Berlin 2001“ erschienen ist, versucht anhand der musikalischen Auswahlkriterien auf ihrer Compilation, die von elektronischem Neo-Punk über Pop bis hin zu Techno reicht, den Vernetzungsgedanken zu stärken, der eine Subkultur als gegensteuerndes Makrogefüge schon immer stark gemacht hat. Zusammenhalt, jetzt! Doch ein konkretes Dagegen wird nicht formuliert. Derartige Berlinaffirmation läuft auf ein Kräftemessen mit der Realpolitik hinaus und diesbezüglich sind die Siegchancen wohl eher gering einzuschätzen.
„Berlin Soul Starvation“ wiederum will mit Lounge- und Hipstersound das Wohlfühlaroma der Stadt betonen. Nach dem Motto: Noch geht es uns gut, schaut wie gut es uns geht. Während die „Berlin macht Schule“-Reihe eher unreflektiert schlicht den gut klingenden Berlinstempel für sich ausnutzt und der Reihe nach bisher noch wenig beachtete Neulinge der Sektoren Indierock, HipHop und Nu Metal ins Rampenlicht zerrt. Kritisch mit dem eigenen Ansatz geben sich noch am ehesten die Urheber der Labelzusammenschluss-Compilation „Hotel Stadt Berlin“. Thomas Morr vom beteiligten Morr-Label meint dazu: „Wenn wir eins nicht wollten, war es, diese Stadt erneut in irgendeiner Form zu labeln.“ Und betont, dass das Konzept mit dem Hotel darauf hinauslaufen soll, sich selbst und seine Subkulturklitsche nicht als Repräsentant, sondern lediglich als Gast dieser Stadt zu begreifen.
Was jedoch auf Augenwischerei hinausläuft. Morr ist inzwischen auch international ein etabliertes Berlinlabel und Miturheber eines bestimmten elektronikpoppigen Berlinsounds. Wo bleibt dabei die konkrete Kritik an der aktuellen Stadtpolitik jenseits einer „Clubcommission“? Vielleicht müssen wirklich erst die Clubs geschlossen werden, bis die erste „Scheiß Stadt Berlin“-Compilation erscheint. Mit dem Feiern des eigenen Status quo lässt sich die Frage, „Wem gehört die Stadt?“, nicht klären.
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