: Der Vertraute des „Kalifen“
Verhafteter Islamist wollte mit ABC-Schutz nach Teheran. Sein Anführer Kaplan sitzt in Deutschland im Knast und hatte sich gerade vom Terrorismus distanziert – um vorzeitig entlassen zu werden
von PASCAL BEUCKER
Was der Bundesgrenzschutz am vergangenen Mittwoch im Gepäck des 29-jährigen Kölner Studenten Harun A. fand, war nicht ganz vorschriftsmäßig: Unter anderem hatte er einen ABC-Schutzanzug und Materialien zur Herstellung eines Sprengsatzzünders dabei. Wie die Bundesanwaltschaft gestern mitteilte, befand sich im Gepäck des türkischen Staatsangehörigen, der von Frankfurt nach Teheran fliegen wollte, ferner eine CD-ROM mit einem Ausbildungsprogramm für „Gotteskrieger“.
Auch einen Abschiedsbrief an seine Ehefrau soll Harun A. bei sich gehabt haben. Nun wird gegen ihn ermittelt: wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und der Anleitung zu schweren Straftaten. Für Harun A.s Anwalt handelt es sich „um eine Verquickung unglücklicher Umstände“. Harun A. sei mit Übergepäck gereist und habe deswegen die Kofferlast mit einem anderen Fluggast geteilt. Der habe ihm wohl die Tasche mit dem brisanten Inhalt untergeschoben.
Doch an dieser Darstellung dürften Zweifel angebracht sein. Denn Harun A. ist einer der führenden Köpfe des radikal-islamistischen „Kalifatstaats“. Mit dessen Führer, dem selbst ernannten „Kalifen von Köln“ Metin Kaplan stand er im vergangenen Jahr vor dem Düsseldorfer Staatsschutzsenat, wurde jedoch als einziger der drei Angeklagten vom Vorwurf des Aufrufs zur Ermordung eines Abtrünnigen freigesprochen. Kaplan hingegen verurteilte das Gericht zu einer Haftstrafe von vier Jahren.
Der in Köln ansässige „Kalifatsstaat“ (Hilafet Devleti) Metin Kaplans ist eine radikal-islamistische Vereinigung türkischer Sunniten mit etwa 1.100 Mitgliedern. Er wurde 1983 unter dem Namen „Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V.“ (ICCB) von Metin Kaplans Vater Cemaleddin, dem 1995 verstorbenen „Chomeini von Köln“, als radikale Abspaltung von Milli Görüs gegründet und strebt einen islamischen Gottesstaat nach iranischem Vorbild an.
Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes traf sich bereits Mitte der 90er-Jahre eine Delegation der Islamistenorganisation unter Führung Kaplans mit Ussama Bin Laden in einem afghanischen Camp. In „Ümmet-I Muhammed“ wurde 1997 auch über ein Zusammentreffen von „Botschaftern“ des Kalifatstaats mit Taliban-Führern berichtet. 1998 soll es zu einem Gegenbesuch gekommen sein.
Ende Oktober 1998 vereitelten türkische Sicherheitskräfte zwei Sprengstoffanschläge auf eine Moschee in Istanbul und auf das Atatürk-Mausoleum in Ankara, die von der Kaplan-Gruppe geplant gewesen sein sollen. 25 Personen wurden festgenommen, unter ihnen auch aus der Bundesrepublik angereiste Anhänger des „Kalifatsstaats“. Sie sollen ein Privatflugzeug gechartert haben, um es mit Sprengstoff beladen in einer Selbstmordaktion auf das Mausoleum zu stürzen.
Metin Kaplan hofft zurzeit, im November nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden. Zu diesem Zweck präsentierten seine Anhänger auf der Frankfurter Buchmesse die neueste Ausgabe von „Ümmet-I Muhammed“. Darin versucht sich der „Kalif von Köln“ vom Terrorismus zu distanzieren, in dem er an einen Text seiner Gruppe von 1995 erinnerte: „Ein Muslim ist niemals ein Terrorist, und ein Terrorist ist niemals ein Muslim! Denn beide sind zwei verschiedene Angelegenheiten, die einander zuwiderlaufen!“ Ob Harun A. einfach die Schriften seines Kalifen nicht gelesen hat?
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