: Unstrukturierte Einzelfälle
Trotz Vergewaltigungen auf Klinikgelände: Expertenkommission befindet Sicherheitsstandards im Maßregelvollzug für ausreichend ■ Von Elke Spanner
Fehler wurden im Einzelfall begangen. Doch strukturelle Mängel gibt es nicht. So lautet das Fazit der Sachverständigenkommission, die im Auftrag von Gesundheitssenatorin Karin Roth (SPD) die Sicherheit des Hauses 18 im Klinikum Nord (AKO) unter die Lupe genommen hat. Die dortige forensische Psychiatrie war im Sommer ins Gerede gekommen, nachdem zwei dort einsitzende psychisch kranke Straftäter bei Ausgängen Frauen vergewaltigt hatten.
In der Fachkommission arbeiteten eine Psychologin aus Hamburg, ein Psychiatrieprofessor aus Essen, ein ehemaliger Kriminaldirektor aus Berlin sowie der pensionierte Berliner Generalstaatsanwalt Christoph Schaefgen. Der präsentierte das Ergebnis, dass der Sicherheitsstandard des Maßregelvollzuges in Hamburg insgesamt „als sehr hoch zu beurteilen ist“. Das zeige sich an der geringen Anzahl der Patienten, die pro Jahr aus der Anstalt entweichen: In Hamburg seien das drei von 100 Patienten im Jahr, während der Schnitt bundesweit bei sieben bis zwölf Ausbrechern liege. Auch die in Haus 18 angewandte Therapie zeige Erfolg. Nur sieben Prozent der Entlassenen würden erneut wegen Delikten in die Anstalt eingewiesen. Bundesweit sind es rund 20 Prozent aller Patienten, die nach Verbüßen ihrer Haftzeit erneut in den Maßregelvollzug kommen.
Bei den Fällen, die den Anlass ihrer Studie boten, stellten die ExpertInnen allerdings gravierende Fehler fest. Ein 33-jähriger Patient hatte bei Ausgängen auf dem Klinikgelände im Februar und im Mai Frauen vergewaltigt. Kurz nach dem Bekanntwerden dieser Fälle wurde ein 29-Jähriger überführt, ein Jahr zuvor ebenfalls eine Vergewaltigung versucht zu haben. Dessen Vollzugslockerungen seien formal nicht zu beanstanden. Anders bei dem zweiten Täter aus diesem Jahr: 1995 hatte ein externes Gutachten davon abgeraten, dem Patienten Ausgang zu gewähren. Drei Jahre später hatte die Anstalt damit dennoch begonnen – ohne erneut einen externen Gutachter um seine Meinung zu fragen. Außerdem durfte der 33-Jährige, der im Transportdienst auf dem Klinikgelände arbeitete, laut Anweisung das Haus 18 nur in Begleitung verlassen. Dennoch war er auch alleine auf dem Klinikgelände unterwegs. Und: Er hatte Schlüssel und damit unkontrollierbaren Zugang zu Räumen, in die Patienten keinen Zutritt haben dürften.
Im Mai hatte Gesundheitssenatorin Roth kurzfristig die regelhafte externe Begutachtung aller Patienten vor Ausgängen angeordnet. Davon rät die Kommission wieder ab: Das könnte die eigene Verantwortlichkeit der Klinik ebenso mindern wie die Gründlichkeit der einzelnen Gutachten.
Viel Kritik wurde im vergangenen Sommer auch am Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK) geübt, der das AKO betreibt und die Gesundheitsbehörde nicht unverzüglich über die Vergewaltigungen auf dem Gelände informierte. Die Kommission empfiehlt, dem LBK zukünftig durch eine Anordnung aufzuerlegen, die Behörde über sämtliche Vorkommnisse im Bereich des LBK zu informieren.
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