: Doppelt getoppelt
Das Schwelgen in den ganz großen Gefühlen, das Suhlen im ganz großen Kitsch, das Leeren von ganz vollen Herzen: Goldfrapp und Simian spielen in der University Hall
Kitsch? Sagt hier jemand „Kitsch“? Dann ist die Message von Goldfrapp angekommen. Denn um Kitsch geht es ihnen, sonst hätten sie bestimmt nicht das Booklet ihres ersten Albums mit derartig schreiend romantisch verklärten Postkartenaufnahmen voll gestellt. Wie mit der vom einsamen Wanderer, dem verschneiten Berggipfel entgegen, oder der mit einer einsamen Hütte in der Gebirgsschlucht. Ohne das derart offensive Bekenntnis zu Kitsch würde die Musik von Goldfrapp auch gar nicht funktionieren. Gerade in ihrer Hemmungslosigkeit im Umgang mit Engelschoralhaftem, Schmalzstreichern und vertonten Filmküssen in dramatischen Momenten liegt ihr Reiz.
Goldfrapp sind bestimmt eine der Aufsteigerbands des Jahres. Kaum hatte man sich gefragt, was eigentlich mit Portishead sei, besetzte das Duo Alison Goldfrapp und Will Gregory die vakant gewordene Stelle. Natürlich mit einer ähnlich scheinparitätischen Aufteilung wie bei den Melancholikern aus Bristol. Sie sorgt für das hübsche Gesicht auf den Fotos und die wunderbare Stimme mit Shirley-Bassey-Timbre, während er für die schwelgerischen Sehnsuchtsarrangements zuständig ist. Verbinden tut die beiden vor allem die Liebe zu Bildvertonweltmeistern wie Ennio Morricone oder John Barry. Vor allem an Morricone angelehnt ist die Fähigkeit von Goldfrapp, entgrenzte Räume zu schaffen, in die wir Projektionen all unserer Gefühle hineinwerfen können. Räume, in denen wir unsere Sehnsüchte in Richtung Endlosigkeit treiben lassen können, während wir uns gleichzeitig der Dramatik des Augenblicks bewusst sind.
Wo wir schon bei Bands sind, die dieses doch eher traurige Popjahr einigermaßen gerettet haben, dürfen Simian nicht fehlen, die passenderweise der Support von Goldfrapp sind. Ihr Debüt, „Chemistry Is What We Are“, ist ein berauschendes Kaleidoskop aus sämtlichen Psychedelicphasen der Popgeschichte. Überall dort, wo irgendwelche Seelengleichgewichtsstörungen den Poptrieb beförderten, haben sich Simian fleißig bedient. Das Spektrum reicht dann von den Beach Boys in ihrer „Pet-Sounds“-Phase bis Frühneunziger-Ambient von The Orb.
Mit Goldfrapp teilen die verdrehten Popjünglinge den Sinn für Pragmatismus: Am Ende soll auch bei ihnen die größtmögliche Gefühlsschwelgerei stehen. Immer ein bisschen mehr an Klangzauberei dazuschaufeln als nötig, immer ein wenig über den Tellerrand der Geschmackskonventionen schwappen, dann passt’s. Wer nach dieser Doppelladung Emotionen, nach zweimal großem Kino, nicht dem nächstbesten Menschen sein Herz ganz doll ausschüttet, hat eine Chance verpasst.
ANDREAS HARTMANN
Heute ab 21 Uhr, Universal Hall, Gotzkowskystraße 22, Tiergarten
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