: Task-Force soll AKWs retten
Im baden-württembergischen Atommeiler Philippsburg wurden siebzehn Jahre lang Sicherheitsbestimmungen ignoriert und Meldepflichten verletzt. Umweltminister Jürgen Trittin erklärt das Werk „bis auf weiteres abgeschaltet“
von KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Ulrich Müller (CDU), der schwer angeschlagene Umweltminister des Landes Baden-Württemberg ist gestern in die Offensive gegangen. Gerade hatten SPD und Grüne im Landtag Müllers Rücktritt gefordert – wegen dessen „Verletzung seiner Aufsichtspflichten“ im Zusammenhang mit mit dem AKW Philippsburg. Da trumpfte Müller mit der „Task-Force“ auf: Die soll – mit drei unabhängigen Sachverständigen besetzt – alle Atomkraftwerke des Landes prüfen.
Dem TÜV traut der Minister offenbar nicht mehr. Und der Betreibergesellschaft der beiden Blöcke des AKW Philippsburg, die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW), schon gar nicht mehr, nachdem EnBW-Boss Gerhard Goll am Dienstagabend einräumen musste, dass ein weiteres meldepflichtiges Ereignis in Block II der Atomaufsicht erneut nicht angezeigt worden sei.
Am 10. August – da wurde der Reaktor nach einer Revision gerade wieder angefahren – hätten die vier Flutbehälter des Not- und Nachkühlsystems eine zu geringe Füllhöhe aufgewiesen, so Goll. Ein Störfall, der den Aufsichtsbehörden sofort hätte gemeldet werden müssen, so ein verärgerter Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne). Im Notfall nämlich hätte nicht genügend Kühlmittel zur Verfügung gestanden. Doch damit noch nicht genug. Goll räumte ein, dass in Philippsburg seit der Inbetriebnahme des Reaktors vor 17 Jahren Betriebsvorschriften ignoriert wurden: Stets wurde der Reaktor nach der Jahresrevision mit zu wenig Kühlmittel angefahren.
Trittin hat nun „ernsthafte Zweifel an der Zuverlässigkeit der Betreiber“. In Berlin kündigte der Bundesumweltminister gestern deshalb an, dass das Werk bis auf weiteres abgeschaltet bleibt. Und zwar so lange, „wie diese Zweifel an der Zuverlässigkeit nicht ausgeräumt sind“.
Schon am 8. Oktober war der Block II vom Netz genommen worden, weil die Borsäurekonzentration in den Flutbehältern des Not- und Nachkühlsystems zu niedrig war; der Kühlungseffekt wäre nicht eingetreten. Auch in Block I kam es in der vergangenen Woche zu einem Störfall, der dem Landesumweltministerium als Atomaufsichtsbehörde nicht gemeldet worden war. Rückschlagsklappen und Ventile waren dort „temporär undicht“. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) des Bundes schlug Alarm. Der TÜV Südwest dagegen, der das Landesumweltministerium in Sicherheitsfragen berät, hielt das Sicherheitsrisiko in allen Fällen für „gering“.
Der TÜV ist deshalb vorerst aus dem Geschäft. „Fehlerhaft“ seinen seine Bewertungen gewesen, sagte Landesumweltminister Müller. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) erstattete gestern seine zweite Strafanzeige gegen EnBW.
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