Der letzte Schrei

■ Die Cosmos Factory probt im Kulturbahnhof Vegesack die Bühnentauglichkeit eines Bildes von Edvard Munch

Die Muse des Malers ist eine Selbstmörderin. Der Mäzen ein Westentaschen-Mephisto. Der Maler ein Mörder. Diese Konstellation haut selbst die stärksten Gemüter um. Erst recht eine empfindsame Künstlerseele, die im Weltschmerz versinkt. So ein Krimi ist aber auch ungemein inspirierend, wenn die Verzweiflung über das sinnlose Dasein auf diesem Planeten in Farbe gebannt werden will.

Die Cosmos Factory Theaterproduktion spürt derzeit im Kulturbahnhof Vegesack der Entstehung des Bildes „Der Schrei“ von Edvard Munch nach. Neben der Bildvorlage adaptieren die Theatermacher auch den gleichnamigen Roman von Stanislaw Przybyszewski. Die beiden Wegbereiter des Expressionismus und des Surrealismus kannten sich aus der wilden Bohème im Berlin des fin de siècle und pflegten eine enge künstlerische Symbiose.

Die Story ist schnell erzählt. Ein Maler rettet eine Selbstmörderin aus dem Wasser und ist fasziniert von ihrem aussdrucksstarken Schrei, den er auf die Leinwand bringen will. Weil es mit der Umsetzung aber hapert, stößt er die einst Errettete wieder in den Fluss, um den Schrei noch einmal zu hören.

Ganz so einfach ist die Sache aber doch nicht. Denn die scheinbar zufällige Begegnung mit der Muse war nur ein abgekartetes Spiel des diabolischen Mäzens des Malers. Die emotionalen Abgründe von Schuld und Erlösung, von Liebe und Tod sind also nichts weiter als das subtile Werk des Gönners und stellen die vermeintliche Autonomie des Künstlers in Frage.

Oliver Peuker und Ute Falkenstein, die sich als Cosmos Factory Theaterproduktion im Dorf Donnern bei Bremerhaven niedergelassen haben, präsentieren das den Wahnsinn streifende expressionistische Malen in einem bunten Cocktail aus Schauspiel, Tanz, Pantomime und Gesang. Sie steigern die multimediale Vorlage in ein sinnliches Crossover, das Weihrauchduft, Action-Painting und Tänze in roten und blauen Lichtkästen miteinander verbindet. Auf kafkaeske Albtraumsequenzen folgt eine Pantomime unter einer Dusche aus Licht und dann der ekstatische Tanz einer Disco-Queen. Mittendrin eine Slapstick-Einlage. Auf die Frage des Mäzens, „reden sie immer soviel beim Malen“, antwortet der Maler: „Reine Selbstverteidigung.“ Denn die Farben scheinen ihm von der Leinwand ins Gesicht zu springen.

Die Theatermacher scheuen sich nicht, düstere Stimmungen mit Gothic-Klängen zu begleiten oder das Finale mit furiosem Orgelbrausen zu unterlegen. Das kann schief gehen, wenn es zur Effekthascherei wird. Doch bei der Annäherung an das künstlerische Schaffen um die Jahrhundertwende gelingt die Verbindung von Inhalt und Form. Am Ende wird „Der Schrei“ doch noch gemalt. Aber vorher gibt es einen weiteren Mord ... Peter Ringel

Weitere Aufführungen am 27. und 28. Oktober um 20.00 Uhr im Kulturbahnhof Vegesack