: Musik vor Alter
Der Killer in mir ist der Killer in dir, die Erde aber trotzdem immer noch der schönste Platz im All: Mutter spielten im Maria eine Art Gothic-Rock mit widersprüchlichen Liebeslyrics
Viel stand geschrieben über das Mutter-Album „Europa gegen Amerika“, Mutter schienen geradezu die deutsche Band zur Weltlage zu sein. Ob das am Albumtitel lag? Voll ist es an diesem Abend im Maria trotzdem nicht. Die üblichen Verdächtigen sind da, und auch von denen fehlen einige. Der Kollege Sundermeier vom Verbrecher Verlag verkauft Mutter-Bücher, -Platten und auch das gefährliche T-Shirt mit Meister Bush als Mickymaus. In einem Interview hatte Max Müller das T-Shirt als „zurückgezogen“ bezeichnet.
Wo steht denn nun der Feind bei einem Mutter-Konzert? Es ist der Feind in uns, der hier hervorgezaubert und gleichzeitig attackiert werden soll. Müller und seine Mannen stehen wie ein Fels, nur ist hier weit und breit keine Brandung zu sehen. Nach den Stücken sind die Leute fast zu gelähmt, um zu klatschen. Als würden Mutter ein wohltuendes Gift versprühen, das sich über die Körper legt und uns denken lässt: Beifall wäre o.k., doch die Hände wollen sich wie im Alptraum nicht bewegen. Max Müller singt eine Art Liebeslieder. Nur seine vier Kollegen lassen ihn nicht in Ruhe lieben. Vor allem der Schlagzeuger ist ein Störenfried erster Kategorie. Immer wieder reckt er seine Schlagstöcke gen Himmel, zählt frech bis vier, und schon geht das Gehacke und Geschlage wieder los. Keine Ruhe bis in den Tod.
Drummer Florian, in seinem anderen, mutterlosen Leben Filmproduzent, unlängst ausgezeichnet für „Die innere Sicherheit“, zieht schon nach wenigen Titeln sein T-Shirt aus. Mit nacktem Oberkörper wirkt er noch mehr wie eine archaische Mensch-Maschine-Konstruktion, die seinen Erfindern nur Kummer macht.
Müller versucht es weiter mit kruder Liebeslyrik à la „Liebe fragt nicht nach Gefühlen“. Das könnten Blumfeld sein, ist in seiner Widersprüchlichkeit aber doch nicht so harmonisch. Mutter erinnern aber weniger an Blumfeld als an die Münchener FSK. Nur sind die noch eine Spur klarer und intellektueller.
Da, jetzt versteckt sich Müller wieder hinter seinem linken Arm, den er, ungeschickter Rockpoet, Poseur ohne Pose, manchmal als Kopfschutz auf den Mikroständer vor sich legt. Müller selbst singt an diesem Abend nur im Stehen. Dafür legt sich Bassist Kerl Fieser ein ganzes Stück lang auf den dreckigen Bühnenboden. „Es ist nur Musik“ und nach jedem Stück davon nehmen die Männer einen tiefen Schluck Beck’s zu sich. „Ja, ja, ich weiß wer du bist“ – klar weiß Müller das. Nur nützt es ihm auch was?
Aus einem anderen Blickwinkel wird der Sänger zu C. Schlingensief, der sich plötzlich eine Band hält und nicht weiß, ob er wirklich Sänger sein soll. „Die Erde wird der schönste Platz im All“ singt Müller dann noch. Nach diesem Konzert ist man davon nicht unbedingt überzeugt.
ANDREAS BECKER
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