Kleine Jungs im Dixi-Klo

Die gefährlichste Sendung, die im Fernsehen je zu sehen war, läuft auf MTV: „Jackass“ hintertreibt mit fröhlicher Debilität alle hehren Legenden von der Verantwortung des Mediums (Fr., 22.00 Uhr)

von ARNO FRANK

„WARNUNG: Die Stunts in der folgenden Sendung wurden entweder von Profis oder unter der Aufsicht von Profis ausgeführt. MTV und die Produzenten warnen ausdrücklich davor, Stunts oder andere Aktivitäten der Sendung nachzuspielen. MTV verwahrt sich gegen die Einsendung von Heimvideos von Zuschauern, in denen sie selbst oder andere als ‚Jackasses‘ auftreten. Wir werden solche Einsendungen weder öffnen noch anschauen, also verschwendet nicht eure Zeit.“

Deutlicher könnte die Warnung gar nicht sein, die der Musiksender MTV der Sendung „Jackass“ voranstellt. Denn was es dort zu sehen gibt, stellt alles in den Schatten, was uns das Fernsehen bisher an Geschmacklosigkeiten beschert hat – die Realität mal ausgenommen. „Jackass“, seit einiger Zeit auch in Deutschland zu sehen, ist fraglos ein neuer Tiefpunkt in der Geschichte des Fernsehens – oder Höhepunkt, je nach Perspektive.

Worum geht’s? Um junge Männer, die vor laufenden Kameras erstaunlichen Unfug treiben. Im Sommer auf einem Eisblock mit nacktem Hintern eine grüne Wiese hinabrodeln. Die Wirkung von Pfefferspray, Gotcha-Pistolen oder Elektroschockern am eigenen Leibe austesten. Sich ein Schild auf den nackten Hintern tackern lassen, worauf geschrieben steht: „Don’t try this at home“. Es in einem Dixi-Klo aushalten, während selbiges geleert wird, bekleidet nur mit Badehose und Chlorbrille. Den Kopf in ein kleines Aquarium stecken, in dem ein Tintenfisch lebt. Nackt auf der Motorhaube durch die Waschstraße fahren. Sich von einem kleinen Mädchen einen kräftigen Tritt in die Testikel verpassen lassen. Eier essen, bis alle Beteiligten nur noch gelbe Dotter erbrechen. Oder gleich die Zutaten eines Omeletts runterschlingen, hochwürgen, in die Pfanne kotzen und braten. Mahlzeit.

Solche Scherze gehen selten ohne Schmerzen über die Bühne – weil hier aber bisweilen tatsächlich Knochen brechen, ist „Jackass“ ein Format von geradezu absurder Authentizität. Es bleibt nicht bei halsbrecherischen Selbstversuchen, auch das Genre der „Verdeckten Kamera“ findet hier eine Steigerung: Ein totes Stinktier wird auf einem ferngesteuerten Spielzeugauto über den Bürgersteig chauffiert, eine Yoga-Übung mit geräuschvollen Blähungen torpediert.

So dauerte es auch nicht lang, bis MTV in den Vereinigten Staaten gewisse Probleme bekam. Auslöser war ein Stunt, bei dem sich Johnny Knoxville, Urheber und Star der Sendung, als menschlicher Grill pökeln, mit rohen Steaks bedecken und anzünden ließ. Ein 13-Jähriger, der den Unsinn nachspielte, konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden – er hatte den feuerfesten Anzug vergessen.

Das rief den Senator Joseph Liebermann (Al Gores Vizepräsidenschaftskandidat) auf den Plan, der sich beim Sender beschwerte. – „Jackass“ wurde ab sofort zu späterer Stunde ausgestrahlt, die einleitende Warnung parallel vorgelesen – weil die Idioten, an die er sich richtet, eventuell nicht lesen können. MTV-Chef Van Toffler, hin- und hergerissen zwischen dem durchschlagenden Erfolg der Sendung und dem kapitalen Ärger, den er sich damit einhandelte, reagierte mit einer vorgestanzten Erklärung: „Obwohl wir jede Verantwortung ablehnen, entsetzt es uns natürlich, wenn sich junge Menschen Schaden zufügen“. Und seit Knoxville einen Goldfisch verschluckte, um ihn anschließend wieder auszuspeien (das Tier überlebte), darf er auch nur noch mit toten Tieren Schabernack treiben.

Natürlich hat schon ein Andy Kaufmann Scherz in Schmerz verwandelt, ein Benny Goodman die Verwandschaft von Pein und Peinlichkeit enthüllt – aber nur Johnny Knoxville und seine „Jackass“-Crew bieten ein zeitgemäßes Kompendium aus pubertärem Übermut, spielerischem Sadomasochismus, unterdrückter Homosexualität und debiler Freude am Fäkalen. Selten wurde die hehre Legende von der Wirkungsmacht und Verantwortung des Mediums Fernsehen konsequenter hintertrieben. Was ein Hollywoodfilm wie „Fight Club“ an Subversion aufbietet, setzt „Jackass“ in die Praxis um. Und dass visualisierter Überdruss Ekel erregt, liegt auf der Hand. Wie auch die soghafte Faszination, die dem Format zugestanden werden muss.

Nun will P. J. Clapp, der sich hinter dem Künstlernamen Johnny Knoxville verbirgt, die Serie auslaufen lassen. Wegen „mangelnder Rückendeckung“ durch MTV, wie es heißt. MTV dementiert und betont, man verhandele mit Knoxville über weitere Folgen. Der aber hat Scheiße, Kotze und Knochenbrüche gar nicht mehr nötig. Professionell hat er sich die Mechanik zunutze gemacht, mit geschmacklichen Grenzüberschreitungen an abgestumpfte Reize zu appellieren und damit Aufmerksamkeit zu generieren.

Der Erfolg gibt ihm Recht: Für „Matrix 2“ hat man Knoxville bereits eine Nebenrolle auf den Leib geschrieben, die Dreharbeiten sind abgeschlossen. Und der Stargast für die vermutlich letzte Episode von „Jackass“ steht auch schon fest: Brad Pitt, der Hauptdarsteller von „Fight Club“. Passt doch. Wie die Faust aufs Auge.