: Gefährliche Sporen
Weiterhin ist unklar, von wem die Milzbrandbriefe in den USA kommen. Experten halten es für unmöglich, solche Erreger in Kleinlabors herzustellen
aus Washington MICHAEL STRECK
Die Ermittler haben immer noch keine Hinweise, wer für die Anschläge mit den Milzbrandbriefen in den USA verantwortlich ist. 7.000 FBI-Agenten und Postinspektoren fahnden landesweit nach den Absendern der Briefe. Allein im Bundesstaat New Jersey sind hunderte Beamte unterwegs. Aus der Stadt Trenton wurden drei Briefe mit Milzbranderregern abgeschickt. Die wichtigste Spur führt zu einer Postbotin, die an Hautmilzbrand erkrankte. Doch dann verliert sie sich in Verteilzentren, Sortiermaschinen und Briefkästen. Unklar ist, ob die Frau direkt mit einem der kontaminierten Briefe in Berührung kam oder indirekt infiziert wurde.
Die wachsende Zahl der Infizierten wirft Fragen über die verwendeten Substanzen auf, die auch Rückschlüsse über die Herkunft und mögliche Täter erlauben würden. Gesundheitsbehörden haben die Gefahr, die von den Sporen im Brief an Senator Tom Daschle ausging, bislang immer heruntergespielt. Nach Meinung von Experten habe die Regierung jedoch die wichtige Frage der Partikelgröße außer Acht gelassen. Sie gebe Hinweise darauf, ob die Erreger waffenfähig seien. Jene in Daschles Brief waren offenbar klein genug, um inhaliert werden zu können. Solche Partikel seien nur von wenigen Staaten mit einem Biowaffenprogramm herzustellen, sagen Ermittler. „Wenn die Partikel klein genug sind und sich schnell verbreiten, ist die Substanz eine Waffe“, sagt Richard Spertzel, früherer Chef des UN-Inspektionsteams zu biologischen Waffen im Irak. Für Spertzel ist solches Material sehr schwer herzustellen. „Das können keine Garagen-Terroristen gewesen sein.“ Dazu sei nur jemand in der Lage, der mit einem Biowaffenprogramm in Verbindung stünde.
Diese These bekam gestern neue Nahrung. Ein militärisches Forschungsinstitut teilte mit, dass die Sporen mit einer chemischen Substanz behandelt wurden, damit sie sich leichter in der Luft zerstäuben lassen. Das technisch aufwändige Verfahren sei von keiner Universität oder einem improvisierten Labor zu leisten. Nur drei Staaten wären befähigt, die Technologie anzuwenden: Russland, die USA und der Irak. Das UN-Inspektionsteam fand zwar bis 1999 keine Beweise, dass Bagdad diese fein zermahlenen Erreger produziert. Doch Spertzel hält es für realistisch, dass der Irak diese spezielle Sporenart herstellen kann.
Die andere mögliche Quelle ist die frühere Sowjetunion. Erst vorgestern hat Präsident Bush mit der Regierung in Usbekistan ein Abkommen unterzeichnet, Milzbrandsporen von einer Insel zu beseitigen, wo Moskau sie seit 1988 geheim aufbewahrt hatte. Manche Beobachter vermuten schon, dass die Regierung Informationen über die Ursachen der jüngsten Milzbrandausbrüche zurückhält.
Die Analyse der Milzbrandbriefe an den Fernsehsender NBC und die New York Post ergab, dass sie die gleichen Erreger und Botschaften enthielten. In dem Brief an Daschle befanden sich jedoch andere Sporen. Auf allen drei war das Datum 11. 09. 01 vermerkt. Kopien dieser Briefe wurden gestern vom Justizministerium veröffentlicht. Die handgeschriebenen Sätze lauten: „Tod Amerika. Tod Israel. Allah ist groß.“ Anti-Terror-Spezialisten bezweifeln, dass die Briefe von muslimischen Extremisten stammen. Sie deuten eher auf einheimische Terrorgruppen. Handschrift und Text sollten demnach die Ermittler auf eine falsche Spur führen. Jason Pate, Bioterrorismus-Experte am Monterey Institute in Kalifornien, warnt vor übereilten Rückschlüssen. Die Ermittlungsbehörden hätten schlicht eine „harte Zeit“, das ganze Material im Labor zu testen. Viele mit der Untersuchung beauftragte Stellen seien einfach überfordert.
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