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„Es ist mein Zuhause“

Interview EDITH KRESTA

taz: Frau Kaya Tutu, wann sind Sie nach Deutschland gekommen?

Gülsün Kaya Tutu: Mit 9 Jahren. Mein Vater kam Ende der Sechzigerjahre zunächst allein hierher. Er wollte nur kurz bleiben, dann hat er die Familie nachgeholt: zuerst meine Mutter und dann nach und nach die sechs Kinder. Mein Vater hat alles Mögliche gemacht. Er hat bei einer Reifenfirma in Frankfurt am Main gearbeitet, meine Mutter im Krankenhaus. Die Oma kam später nach Deutschland, um auf uns Kinder auszupassen. Ich bin hier in die Schule gegangen, habe eine Friseurausbildung gemacht und mit 23 meinen Meister.

Wollten Ihre Eltern Sie verheiraten?

Klar. In einer türkischen Familie ist man als Frau festgelegt. Man muss heiraten, tun, was der Mann sagt. Aber ich habe bewiesen, dass ich auch allein leben kann. Ich brauche keinen Mann, der mich aussaugt, ausbeutet und der will, dass ich für ihn den ganzen Dreck wegfege. Das muss man nicht mehr, nicht in Deutschland, nicht in Europa. Ich habe mich gegen meine Eltern durchgesetzt.

Mit 24 sind Sie dafür von zu Hause weggelaufen . . .

Meine Eltern haben mich nicht gehen lassen. Mein Vater hat gesagt: Mit dieser Schande kann ich nicht leben. Dann habe ich mir eine Arbeit gesucht und bin weg. Ich habe mir immer mit meinen drei Schwestern ein Zimmer teilen müssen. Für so eine große Familie ist ein große Wohnung eben zu teuer. Ein eigenes Zimmer zu haben, das fand ich toll!

Sie waren also die Revolutionärin in der Familie?

Ja. Das macht man nicht als türkisches Mädchen, irgendwo allein zu leben. Diese Möglichkeit hätte ich in der Türkei nicht gehabt, bzw. die Möglichkeit hätte ich gehabt, aber als Frau kannst du das nicht verwirklichen, weil dir immer Steine in den Weg gelegt werden. In Deutschland ist das einfacher. Inzwischen bin ich auch wieder mit meiner Familie versöhnt.

Deutschland ist für Sie also eine Erfolgsgeschichte?

Ja natürlich. Wenn mir jemand vor zehn Jahren erzählt hätte: Gül, du wirst nach Berlin gehen und allein leben, ein eigenes Geschäft haben und allein erziehende Mutter sein, dann hätte ich gesagt: Wovon träumt du eigentlich? Das hätte ich nie geglaubt!

Wann kamen Sie nach Berlin?

Vor zehn Jahren. Vor sechs Jahren habe ich mich selbstständig gemacht, vor vier Jahren habe ich den Laden hier übernommen. Wir sind kein Szeneladen, sondern ein ganz normaler Friseur.

Ganz schön tüchtig. Und obendrein sind Sie eine „ganz normale“ allein erziehende Mutter?

Vom Vater meines Kindes habe ich mich schon während der Schwangerschaft getrennt, weil eben doch zwei verschiedene Kulturen zusammenkamen. Deutsche Männer denken ja, türkische Frauen sind willig und machen noch alles. Das stimmt nicht. Wir haben auch unseren eigenen Kopf. Wenn man liebt, macht man natürlich alles, aber freiwillig. Man muss zu nichts gezwungen werden. Das hat leider nicht geklappt.

Wäre es mit einem türkischen Mann leichter?

Ich weiß nicht. Deutsche Männer sehen so soft aus, sind es aber nicht. Türkische Männer sehen nicht soft aus, aber sie sind supersoft. Die kümmern sich um die Familie, um den Haushalt, die bringen das Geld nach Hause. Bei deutschen Männern muss die Frau gucken, wo sie bleibt, weil sie ohnehin nur zwei, drei Jahre mit ihr zusammenbleiben.

So schlecht sind Ihre Erfahrungen?

Ja. Aber inzwischen fühle ich mich so richtig glücklich mit meinem Sohn. Und ich fühle mich auch nicht als Ausländerin in Deutschland. Es ist mein Zuhause. Ich habe keine Probleme. Ich bilde aus und schaffe Arbeitsplätze. Eigentlich bin ich jemand, auf den die Poltiker stolz sein können.

Haben Sie viele deutsche Freunde?

Ich bin zu 90 Prozent mit Deutschen, Russen, Italienern, Holländern zusammen. Ich arbeite zwar mit türkischen Mädels, weil die am besten sind, aber Freunde habe ich nicht so viel türkische. Für die bin ich oft das schwarze Schaf. Ich trage ja auch ein Kreuz.

Als Muslimin? Warum?

Weil mir das Kreuz Glück bringt. Und es gibt ja ohnehin nur einen Gott, egal wie man ihn nennt.

Was sind Ihre Träume?

Mein größter Wunsch ist es, eine Kirche zu besitzen, darin zu wohnen, zu arbeiten und Partys zu feiern. Eine Kirche am liebsten mitten in der Stadt.

Keine Moschee?

Nein. Eine Kirche.

Und mehr Kinder?

Nein. Ich finde, ein Kind reicht. Ich wollte selber immer Einzelkind sein, auch wenn es jetzt toll ist, so viele Geschwister zu haben. Und dann möchte ich gerne einen tollen Mann kennen lernen, der mich und meinen Sohn akzeptiert. Und ich will nicht in Deutschland alt werden. Lieber im Süden, wegen des Wetters. Am liebsten in Rom.

Also in einer Kirche mitten in Rom – und dazu ein schöner Römer?

Nein. Am liebsten einen Schweden oder Norweger oder Brad Pitt.

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