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Castor bei Hude gestoppt

■ AtomkraftgegnerInnen blockieren vor Hude einen Atommülltransport aus dem AKW Unterweser / Bundesgrenzschutz und Polizei räumen die Gleise frei

„Der Castor fährt eine Stunde früher.“ Die Information kam per Handy und sorgt für leichte Hektik unter den Anwesenden. Am Treffpunkt in einem verlassenen Bremer Park werden leise Karten studiert, Telefonnummern notiert und dunkle Pullis übergezogen. „Bevor uns die Polizei sieht, bin ich lieber dafür, einen längeren Weg zu fahren“, meint einer. Allgemeine Zustimmung. Als der Pulk von RadlerInnen gegen ein Uhr früh den Park verlässt, sind die Straßen menschenleer.

Von Esenshamm bis Hude gibt es nur eine einzige Strecke, die der Atommüllzug vom AKW Unterweser aus nehmen kann, wenn es in Richtung zur Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield in Großbritannien gehen soll: Die Bahnlinie nach Nordenham. Dorthin wollten in der Nacht zum Dienstag möglichst viele AtomkraftgegnerInnen unbehelligt kommen. Über 35 haben es geschafft.

Am Tag zuvor war herausgekommen, dass in dieser Nacht zwei Behälter mit abgebrannten Brennelementen auf die Reise gehen sollten, „so zwischen fünf und sechs Uhr“. Weil die Anlage in Sellafield die Irische See mit Plutonium verseuchen soll und da das AKW bei Esenshamm weiter Atommüll produziert, wollen die AtomkraftgegnerInnen den Zug blockieren. „Uns geht es darum, die Castor-Transporte so aufwändig zu machen, dass sie nicht mehr durchführbar sind“, erklärt Bernhard Stoevesand vom Bremer Anti-Atom-Forum.

Das Problem: Wie kommen dreißig junge Menschen nachts unbehelligt dorthin? „Wenn wir in Hude aus dem Zug steigen, ist das mit der Einsamkeit vorbei“, fürchtet eine Schülerin. Ihr Vorschlag: „Wir machen eine Radtour.“ Der Weg führt durch verlassene Industriegebiete, vorbei an feuchten Wiesen und kahlen Feldern. Auf den Deichen pfeift der Wind; Hafenanlagen und Container dämmern im Mondlicht. Keine sehr wirtliche Gegend. Kaum einer kennt den Weg. Gebrannte Mandeln und Kaffee werden ausgetauscht. „Psst!“, zischt jemand: „Wir wollen doch die Nachbarn nicht aufwecken.“ Von nun an bleiben auch die Fahrradlampen aus. „Ich hasse den Wind“, tönt eine Frauenstimme aus dem Dunkel, und: „Waren es nicht vorhin nur noch zwei Kilometer?“ In der Ferne sind bereits die ersten Streifenwagen zu sehen. Vor der letzten Straße werden die Räder im Gebüsch versteckt. „Jetzt sind es noch 150 Meter zu den Gleisen“, erklärt Stoevesand. Und dann? „Die meisten werden sich wohl auf die Schienen setzen“, meint ein Schüler.

„Achtung Hubschrauber!“, schreit einer, alle springen in den Graben. Der Suchscheinwerfer des Polizeihelikopters streift über die Büsche. „Er sieht uns nicht“, frohlockt Sebastian. Sein Kollege telefoniert derweil mit den Beobachtungsposten an der Bahnstrecke und ruft: „Der Castor hat das AKW bereits verlassen!“ Als der Hubschrauber zum dritten Mal vorbei- kommt – das Signal: „Los!“

Schnell geht es Richtung Gleis. Polizei ist nicht zu sehen. Eine dornige Böschung noch und schon stehen die dreißig AtomkraftgegnerInnen auf den Gleisen. Jetzt will man gesehen werden: Transparente werden ausgebreitet, Lampen leuchten dem Castor-Zug entgegen. Ein „Stopptrupp“ weiter vorne zündet eine Sylvesterrakete als Warnsignal. Der Zug schleicht näher und muss anhalten. Von der Straße blinkt es blau herüber: Polizei und Bundesgrenzschutz sammeln sich. Minuten später laufen die ersten Beamten über den Acker. „Runter vom Gleis“, lautet ihr Kommando, das gilt vor allem für die taz. Schließlich will man keine Fotos von der Räumung haben. Die geht dann recht schnell und ruppig vonstatten. Etwa zwanzig Minuten dauert es, bis alle Sitzblockierer die Böschung hinunter verfrachtet worden sind. Trotzdem sind alle zufrieden. Einer sagt: „War doch echt cool – oder?“ as

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