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Die letzten Tage in Moabit

Das Krankenhaus Moabit wird morgen endgültig geschlossen. Viele Stationen und Operationssäle sind schon geräumt, die Flure verwaist, manche Eingangstüren mit Ketten verschlossen. Die letzten acht Patienten werden heute um 11 Uhr entlassen

von SABINE AM ORDE

Das Fernsehen in dem Zweibettzimmer läuft, SAT 1 zeigt eine Quizshow. Doch in den beiden frischbezogenen Betten auf der Intensivstation des Krankenhaus Moabit vertreiben sich keine schwerkranken Patienten die Zeit. Auf dem rechten Bett, dessen frische Wäsche von einer Plastikfolie geschützt wird, hat es sich eine Krankenschwester bequem gemacht. „Wir müssen hier ja irgendwie die Zeit totschlagen“, sagt Tatjana Klimpel.

Patienten pflegt die Schwester schon seit fast einer Woche nicht mehr. Am Samstag hat der letzte Patient die Intensivstation verlassen. Der Flur wirkt ausgestorben, die meisten Zimmer auf der Station sind längst ausgeräumt und verschlossen. Nur noch zwei Betten werden hier für den absoluten Notfall bereit gehalten. Doch auch damit ist morgen Schluss. Dann wird das Krankenhaus Moabit, das vor 129 Jahren als Seuchenstation von Rudolf Virchow gegründet wurde, endgültig dicht gemacht. Und ein jahrelanges Hickhack um die Zukunft der Klinik, in der sich vor nicht all zu langer Zeit noch 1.400 Beschäftigte um Patienten in 525 Betten kümmerten, geht zu Ende.

Acht der zehn Stationen, die gemeinsam mit der Intensivmedizin im Haus M am Operationssaal untergebracht sind, haben bereits geschlossen. Ganze acht Patienten soll es hier noch geben. Die Eingangstüren zu einigen Abteilungen sind mit Ketten und Vorhängeschlössern versperrt, an Operationssälen hängen blaue Schilder mit der Aufschrift „außer Betrieb“. In langen Gängen glänzen beige PVC-Böden verlassen im Neonlicht, an den hellgelben Wänden zeigen dunkle Ränder, wo früher Bilder hingen. Die Schränke sind ausgeräumt, kein Mensch ist zu sehen.

Stefany Kriesel hat am Freitag ihre letzte Narkose gemacht. Jetzt hat die Anästhesistin Bereitschaftsdienst, aber „nix zu tun“, wie sie sagt. In ihrer Arbeitskleidung, weißem Kittel und grüner Haube, steht sie einsam in einem OP, der „sofort einsatzbereit ist“. Auch Kriesel ist nur noch für den absoluten Notfall da. Denn eigentlich wird im Krankenhaus Moabit in dieser Woche nicht mehr operiert. Der OP in dem Stockwerk drunter ist längst außer Betrieb. Am Rand des Raums stehen zusammengeschoben Messgeräte, Monitore und andere OP-Gerätschaften, die dazu gehörenden Kabel liegen zusammengerollt oben drauf. „Das bleibt alles erstmal hier“, sagt Kriesel. „Vielleicht ziehen hier ja doch noch Ärzte zum ambulanten Operieren ein“. Sie hofft immer noch, dass es irgendwie weitergeht mit Moabit. Doch die Zukunft der denkmalgeschützten Krankenhausbauten an der Turmstraße ist offen.

Kriesel hat 13 Jahre lang in Moabit gearbeitet und fühlt sich „total verraten“. Wie viele KrankenhausmitarbeiterInnen versteht die 39-Jährige nicht, warum ihr Krankenhaus geschlossen wird. „Wir sind von den Krankenkassen auf illegale Weise aus dem System rausgeschmissen worden“, sagt sie. Die Kassen hatten im Frühjahr ihre Zahlungen an die Klinik einfach eingestellt und sie damit letzlich zur Aufgabe getrieben. „Wir haben hier gute Arbeit gemacht“, sagt Kriesel und stutzt dann. „Wir“ passt jetzt nicht mehr, findet sie.

Wie viele ihrer KollegInnen hat die Ärztin gegen die ihre Kündigung geklagt. Immer habe es geheißen, das Personal des ehemals städtischen Krankenhauses sei auch nach der Umwandlung der Klinik in eine GmbH dem öffentlichen Dienst gleichgestellt. „Dann aber würden wir in den Überhang kommen und nicht auf der Straße stehen.“ Eine neue Stelle hat Kriesel noch nicht. „So eine wie hier werde ich auch nicht mehr finden.“ Damit meint sie nicht nur die gute Teamarbeit in Moabit, sondern auch ihren Vertrag. „Unbefristete Stellen für Ärzte gibt es doch praktisch nicht mehr.“ Am 20. November hat Kriesel vor Gericht einen Gütetermin mit der Krankenhausleitung.

Im OP klingelt das Telefon. „Ja, ich bin auch morgen noch hier“, sagt Kriesel in die Sprechanlage. „Kommen sie ab acht Uhr.“ Die Transplantate für Hüftoperationen werden abgeholt.

Ein Stockwerk tiefer sitzt Marianne Franke allein mit einer Tasse Kaffee im Schwesternzimmer. „Für sechs Patienten reicht doch eine Krankenschwester“, sagt sie. Franke ist 45 Jahre alt und hat einen großen Teil ihres Lebens im Krankenhaus Moabit verbracht. Vor 29 Jahren hat sie hier ihre Ausbildung zur Krankenschwester gemacht, heute leitet sie die Station, die mit insgesamt 26 Betten aus der Gynäkologie und der Urologie zusammengewürfelt worden ist. „Nach all den Jahren kenne ich hier jeden“, sagt sie und schluckt. „Das ist wie eine Familie.“ Doch die Franke hat Glück gehabt. Sie fand einen neuen Job in einem evangelischen Geriatriezentrum.

Tatjana Klimpel hat sich inzwischen im Dienstzimmer der Rettungsstelle im Erdgeschoss niedergelassen. Auch hier wird zusammengepackt, ansonsten passiert nicht mehr viel. „Wir dürfen nur noch Kleinigkeiten machen wie Platzwunden nähen“, sagt Krankenpfleger Rolf Scheel. „Alle anderen Patienten müssen wir an die Charite oder ans Virchow weiterleiten.“ Scheel und Klimpel sind entschlossen, sich nach dem Ende ihres Krankenhauses ganz umzuorientieren. „Jetzt sieht man ganz klar, dass die Methoden der freien Wirtschaft Einzug in das Gesundheitswesen halten“, sagt Scheel. „Was nach all dem Sparen übrigbleibt, das kann man nicht mehr Krankenpflege nennen.“ Der 39-Jährige weiß noch nicht, was er nach dem 31. März machen wird, wenn seine Kündigung wirksam wird. Klimpel ist da einen Schritt weiter. „Ich gehe an die Uni“, sagt sie. Was sie studieren will, sei allerdings noch offen. Nur eines scheint sicher: Mit dem Gesundheitswesen soll es nichts zu tun haben.

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