einsatz in manhattan: Die seltsameren Blüten des amerikanischen Patriotismus
Army Barbie schlägt Voodoo-Ussama
Neuerdings gibt es Ussama Bin Laden nicht mehr nur als Feindbild auf CNN, sondern auch als Voodoopüppchen. Über das Internet lässt sich für 25 Dollar sein etwa 30 Zentimeter großes Konterfei beziehen, in dessen Leib man nach Belieben mitgelieferte Nadeln treiben kann, an deren Enden wiederum amerikanische Flaggen wedeln. Vom Gewinn wird laut Vertreiber ein Anteil dem Roten Kreuz überwiesen. Spaß für die ganze Familie, wie es scheint. Denn auch „Marine Ken“ und „Paratrooper Barbie“, die berühmten Figürchen aus dem Hause Mattel, erfreuen sich größter Nachfrage, obschon sie im Combat-Look seit Mitte der 90er-Jahre nicht mehr produziert werden. „Wir haben kaum noch Army Barbies übrig“, klagt Don Napoletano, Betreiber einer Website für Auslaufmodelle. „Ich glaube, die Leute wollen einfach etwas Patriotisches kaufen, und Barbie war immer schon eine Ikone.“
Jaja, der Patriotismus. Dass Manhattan in ein einziges Fahnenmeer getaucht ist, mag noch angehen. Schließlich können arabisch anmutende Taxifahrer ohne US-Flagge am Auto gleich auf jegliche Kundschaft verzichten. Und wer jetzt noch keine Fahne im Schaufenster hat, der hat auch keine Käufer mehr. Einzig und ausgerechnet Prada hielt auf der Luxusmeile der Madison Avenue eine Zeit lang eisern dagegen. Doch millionenschwere Stammkunden gängelten das Haus laut einer Verkäuferin, die lieber anonym bleiben will, so lange, bis auch der italienische Designer Blau, Weiß und Rot beigeben musste.
Folgerichtig beschloss am 17. Oktober das New York City Board of Education einstimmig die Wiedereinführung der „Pledge of Allegiance“ am Beginn eines jeden Schultags, inklusive Aufstehen und rechter Hand über der linken Brust. Vor ziemlich genau 109 Jahren erklang der Fahnen- und Vaterlandstreue beschwörende Vierzeiler erstmalig aus den kollektiven Kehlen von zwölf Millionen Knirpsen. Damals gedachte man des 400. Geburtstags der Überfahrt von Christopher Kolumbus. Zum Glück legte der Supreme Court, das oberste Verfassungsgericht der USA, bereits 1943 ganz klar fest, dass weder Schüler noch Lehrer zum Aufsagen der „Pledge of Allegiance“ genötigt werden können.
Dessen ungeachtet bricht sich der Patriotismus noch ganz andere Bahnen, etwa im Kleidungsbereich. Die Touristenattraktion „Canal Jeans“ auf dem Broadway bietet gleich im Eingangsbereich viele, viele bunte T-Shirts feil. Während die meisten in Wort und Bild brav der Feuerwehr, der National Guard, den Marines und der Polizei für ihren heldenhaften Einsatz in New York City Tribut zollen, gibt es auch jene, die Ussama Bin Laden im Fadenkreuz zeigen – als „Public Enemy No. 1“. Dagegen nehmen sich die von Actionfilm-Plakaten inspirierten und etwas weiter südlich von fliegenden Straßenhändlern angebotenen T-Shirts vergleichsweise harmlos aus. In Brusthöhe fahren hier Panzer, Flugzeugträger und Bodentruppen auf: „America fights back“ und „God bless our troops“. Zur individuellen Gestaltung von Pkws gehört neben der obligatorischen Flagge auch die gern gesehene Aufschrift „Nuke ’em“ auf der Rückscheibe, wobei stets unerwähnt bleibt, wer hier eigentlich der Gegner sein soll. Denn mit Sicherheit wissen das bisher nicht einmal die Geheimdienste.
Wer zumindest virtuell, also nicht unähnlich den Piloten in ihren High-Tech-Fightern, am Kampfgeschehen teilhaben will, übt sich im Internet bei www.newgrounds.com. Der konservative Fernsehsender Fox unterhält auf seiner Website einen eigenen Link dazu. Sollte Newgrounds wegen allzu großem Besucheransturm nicht gerade wieder zusammenbrechen, bietet sich dem Websurfer ein Angebot dutzender Spiele und kurzer Comicfilme, die allesamt die Zerstörung Ussama Bin Ladens, Saddam Husseins oder Afghanistans zum Inhalt haben. Ersteren kann man rasieren, sich über ihm entleeren oder ihn auf jegliche Art blutspritzend massakrieren – alles im grafisch abgesteckten Rahmen einer Nintendo-Ästhetik der Spätachtziger. Und für den stillen Protest am stillen Ort kann man Bin Laden als Toilettenpapier bestellen.
Merklich angetan vom Erfindungsreichtum der Bevölkerung, hat sich jetzt auch das bislang als recht fantasielos geltende Pentagon an alle Bewohner der Vereinigten Staaten gewandt. Bis zum 23. Dezember bittet es um die Zusendung auf maximal einer Schreibmaschinenseite verfasster Ideen, wie dem Terrorismus denn nun am besten beizukommen sei. Zuvor hat das Pentagon bereits diverse Drehbuchautoren Hollywoods an den runden Tisch geholt, da diese in ihren Köpfen Szenarien entworfen hatten, über die das Verteidigungsministerium anscheinend nie zu sinnieren gewagt hatte. Ziel sei es jetzt, aus den Ideen Konzepte zu entwickeln, die im Notfall innerhalb von 12 bis 18 Monaten umgesetzt werden können.Und wer nach dreifachem Auswahlverfahren mit seiner Idee noch im Rennen ist, bekommt einen Vertrag. THOMAS GIRST
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