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harald fricke über Shopping Camouflage versteckt nichts

Alles ist ein Zeichen – oder auch nicht. Jedenfalls sagen Kleider noch gar nichts über den Träger

Man sagt, das erste Opfer des Krieges sei die Wahrheit. Das stimmt nicht, als Erstes stirbt die Lust am Konsum. Sonst hätten doch Rudolph Giuliani und George W. Bush nicht sofort nach dem Attentat die Bürger angehalten, weiter einzukaufen, um dem Terror Paroli zu bieten. Offenbar ist die Botschaft angekommen: Die Börsen haben den ersten Knacks einigermaßen überwunden, der Dollar bleibt stabil, die Leute kaufen jede Menge Fähnchen, Kopftücher und Zahnputzbecher mit Sternen und Streifen drauf – alles sehr patriotisch, kaum ein Neubeginn.

In Deutschland sieht man diesen Ruck zurück in die Normalität indes ganz anders. Weil man es immer noch ein bisschen besser weiß als die sorglose Mischpoke in den USA, darf doch eines nicht mehr so sein wie bisher: Die Spaßgesellschaft ist out, und Irony endgültig over. Plötzlich war überall in den Feuilletons von einem neuen Ernst die Rede, auch wenn sich im New Yorker Club „Bitter End“ nach dem 11. September immer mehr Menschen einfanden, um wenigstens etwas Humor und Unterhaltung in ihren eingetrübten Alltag zu holen. Als vorige Woche Filmkomiker im Madison Square Garden und via MTV weltweit Witze über Ussama Bin Laden rissen, wurden hierzulande die Federn gespitzt, um in Leitartikeln die „schwerelose Leichtigkeit des Seins“ zu beklagen, die „unerträglich geworden sei“.

Nun hat Ernst noch ein kleines Brüderchen bekommen. Es heißt Jost, mit Nachnamen Kaiser, und es schreibt in der Süddeutschen Zeitung vom 25. 10. darüber, dass die Attentäter von New York der deutschen Jugend aus „Identitätsclowns und Haltungssimulanten“ gezeigt hätten, wo der Hammer gleich neben der Sichel hängt. Wo unsereins bei Peek & Cloppenburg die Kreditkarte zückt, da hätten Muhammad Atta und Co. „mit einer härteren Währung in einem härteren Kampf“ gezahlt. Kaiser meint damit nicht ihre vielen mühebeladenen Flugstunden in Florida, das gelehrige Büffeln endloser Baupläne an der Technischen Universität Hamburg-Harburg oder das gottesfürchtige Unbehagen abends beim Bier mit den anderen Kommilitonen. Bei ihm hat Atta für seine Überzeugung mit dem Leben bezahlt.

Gegenüber so viel Daseinsernst und -echtheit sieht Kaiser bei deutschen Jugendlichen nur den Willen zur Inszenierung: Die Tätowierungen, die rasierten Schädel, die Kampfhosen – alles nur Bluff, ein Versuch, sich militärisch, martialisch oder gar als Unterschicht zu stilisieren. Doch jetzt sei wieder Überzeugung gefragt, vor allem auch die, „beim Terminus ‚freiheitlich-demokratische Grundordnung‘ die Anführungszeichen wegzulassen“.

Vom Pseudo-Skinhead zum aufrechten Demokraten in dreißig Sekunden, das macht selbst dem abgebrühtesten Kolumnisten Angst. Aber vielleicht will Kaiser gar nicht mal die Neonazifront mit ins Boot gegen den islamistischen Terror holen, sondern sich an den dekadenten Boys reiben, die auf Techno-Parties mit ihren gut gefüllten Camouflage-Hosen protzen, die sie natürlich nicht second hand aus dem Armeeshop, sondern für viel Geld in einem Designerladen gekauft haben.

Was Kaiser und all die anderen Ernst-Jünger in ihrem Furor als Mode verachten, war in den Achtzigerjahren allerdings ein ganz brauchbares Zeichen – und dabei tatsächlich ein ironisches Bekenntnis, eine Antihaltung. Zumindest im Westen. Damals gab es vorrangig im linken Spektrum einigen Argwohn angesichts der Insignien, mit denen sich die Friedensbewegung auf Demonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss schmückte. Der Blümchen-Pazifismus in lila Latzhose erschien gerade jenen autonomen Gruppen schal, die darin eher eine Gefahr der Verwässerung von Interessen sahen: Sollte der geforderte Antimilitarismus am Ende mit Nicoles Hymne „Ein bisschen Frieden“ im Einklang stehen?

Punks und Hausbesetzer gehörten jedenfalls zu den Ersten, die ihre Jeans gegen Militärklamotten eintauschten. Es war durchaus der Ausdruck einer Bereitschaft, für die eigenen Ziele zu kämpfen – auch wenn niemand damit rechnen konnte, dass beim „Krieg in den Städten“ schon im September 1981 Klaus-Jürgen Rattay tot auf der Potsdamer Straße in Berlin liegen sollte. Trotzdem blieb die militante Kleiderordnung, was sie war: Ein Zerrspiegel der Verhältnisse, in dem die Zeichen militärischer Machtfantasien ins Absurde übersteigert wurden.

Das war naiv. Der eigentliche Gegner, den man mit seinem Outfit schocken wollte, trug ohnehin gut sitzende Anzüge. Doch dieser Look ist erst mit der New Economy unter Rot-Grün auch bei subkulturellen Szenen in Mode gekommen. Heute tragen etwa die Musiker der Goldenen Zitronen nicht mehr wie früher Nieten und Leder, sondern beige Dreiteiler und genähte Schuhe. Nur so kann man mit der nicht minder inszenierten Eitelkeit von Joschka Fischer konkurrieren, ohne dass man sich gleich auf den Laufsteg der Politik begeben müsste. Der Spaß, mit dem diese Parodie betrieben wird, ist vollkommen ernst gemeint: Kleider allein haben keine Haltung, sie bekommen erst eine durch diejenigen, die sie tragen.

HARALD FRICKE

Fragen zu Shopping?kolumne@taz.de

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