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„Nicht die Demokratisierung opfern“

Indonesiens Menschenrechtsanwalt Munir warnt davor, bei der Terrorabwehr auf das indonesische Militär zu setzen

taz: Wie bewerten Sie die antiamerikanischen Demonstrationen islamistischer Kräfte in Indonesien?

Munir: Einige Proteste sind Kritik an der US-Politik, andere haben eine innenpolitische Zielrichtung und sind Teil des innerelitären Machtkampfes.

Üben die Proteste Druck auf Präsidentin Megawati Sukarnoputri aus?

Bei einigen Demonstrationen ist das der Fall. Denn Megawatis Verhandlungsspielraum ist sehr begrenzt, weil sie keine andere Wahl hat, als sich auf die Seite der USA zu stellen. Es gibt aber auch Befürchtungen, das indonesische Militär könnte gegen fundamentalistische Gruppen eingesetzt werden. Das ist ein Problem, wie das Beispiel Pakistan zeigt. Dort ist die internationale Gemeinschaft jetzt im Kampf gegen den Terrorismus plötzlich bereit, die demokratischen Defizite des autoritären Regimes außer Acht zu lassen. Doch man darf auf keinen Fall unseren Demokratisierungsprozess vernachlässigen und stattdessen im Kampf gegen den Terrorismus auf das indonesische Militär setzen.

Islamistische Gruppen äußern in Indonesien aber nicht nur ihre Meinung, sondern drohen auch Ausländern mit Gewalt, wogegen die Regierung nur sehr zögerlich vorging. Beunruhigt Sie das nicht?

Dass Islamisten in Indonesien Hotels nach Ausländern durchsuchen, ist kriminell. In Jakarta wurde das aber mehr problematisiert, als dass es wirklich passierte. Ein echtes Problem war es in Zentral- und Ostjava. Die Polizei reagierte zunächst nicht. Nachdem Präsidentin Megawati aus den USA zurückgekehrt war, ging die Polizei plötzlich repressiv vor, doch nicht gegen diejenigen, die Ausländer jagten, sondern gegen antiamerikanische Demonstranten. Das gefährdet die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht. Ich befürchte deshalb, dass der Druck auf Indonesien, die Durchsuchung von Hotels nach Ausländern zu stoppen, zur Einschränkung unserer demokratischen Rechte führen könnte. Auch reagierte die US-Botschaft meiner Meinung nach übertrieben, als sie ihr Haus wegen der Proteste davor für mehrere Tage schloss. Die Demonstranten waren überwiegend friedlich und die Botschaft wurde geschützt. Sie zu schließen zielte darauf, die Regierung zu drängen, die Demonstrationen zu unterbinden.

Welchen Einfluss haben die Islamisten in Indonesien?

Gegen die US-Politik demonstrieren verschiedene Gruppen, darunter auch Islamisten. Sie sind zum Teil unabhängig, andere lassen sich vom Militär benutzen, um Reformen des Militärs zu verhindern. Manche Islamisten werden von Politikern aus der Elite eingespannt, um die Präsidentin unter Druck zu setzen. Auch wenn die Demonstranten viel Aufmerksamkeit erregen, demonstriert nur eine kleine Minderheit. Die Mehrheit weiß, dass der Krieg von Indonesien weit entfernt ist und dass wir uns nur schaden, wenn wir die USA verärgern.

Besteht die Gefahr der Destabilisierung Indonesiens als weltgrößtes muslimisches Land?

Indonesiens Stabilität hängt vor allem vom Machtkampf der Elite und deren Verhältnis zur Bevölkerung ab. Sollten die USA aber Indonesiens Militär zwingen, gegen die Fundamentalisten vorzugehen, wäre dies eine große Gefahr nicht nur für die Fundamentalisten, sondern auch für unsere Demokratie. Es ist ein natürlicher Prozess, dass es bei der Demokratisierung auch wieder Leute gibt, die eine Islamisierung der Politik wollen, viele sind da schließlich auch ganz anderer Meinung. Die Islamisten sind Teil unserer Vielfalt. Wir dürfen nur gegen sie vorgehen, wenn sie etwas Krimininelles machen, aber wir dürfen ihre Ideologie nicht verbieten.

INTERVIEW: SVEN HANSEN

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