: Humanitäre Hilfe auf dem Abstellgleis
UN-Hilfsorganisationen warten in Usbekistan, Medikamente und Lebensmittel für Afghanistan stehen bereit. Nur fehlt es an politischem Willen, dem Nachbarn rasch zu helfen – das Regime in Taschkent fürchtet einen „Flächenbrand“
TASCHKENT taz ■ „Die Zeit drängt enorm, jeden Augenblick kann der Schnee kommen.“ Frau Rupa Joshi koordiniert das Programm des UN-Kinderhilfswerks Unicef in Usbekistan und hofft, bis Ende dieser Woche endlich mit Hilfslieferungen für Afghanistan beginnen zu können.
Erst in der letzten Woche hat der usbekische Präsident Islam Karimow den UN prinzipiell erlaubt, von seinem Land aus Afghanistan mit dringend benötigten Lebensmitteln und Medikamenten beliefern zu dürfen. Bis zur konkreten Aktion ist es in Usbekistan allerdings noch ein langer Weg. „Wir verhandeln jetzt mit den zuständigen Bürokraten, etliche Details sind leider noch unklar“, meint Frau Joshi bedauernd. Während die Chefs der beteiligten UN-Organisationen (World Food Program, UNHCR und Unicef) sich im pakistanischen Islamabad die Klinke in die Hand geben, haben ihre Leute an der Nordfront Afghanistans einen schweren Stand.
Entweder ist das Gelände – wie in Tadschikistan oder Turkmenistan – für Hilfslieferungen in größerem Umfang ungeeignet, oder es fehlt – wie in Usbekistan – der politische Wille, wirklich schnell zu helfen. „Nach allem, was wir wissen“, sagt Rupa Joshi, „bahnt sich in den nördlichen Regionen Afghanistans eine kaum vorstellbare humanitäre Katastrophe an. Doch noch können wir nichts tun.“
„Schleuse“ für die wichtigen Hilfslieferungen ist der usbekische Grenzort Termis. Dort führt eine große Brücke über den Grenzfluss Amur Derja, und von dort geht eine große Straße weiter in die nordafghanische Stadt Masar-i Scharif. Doch Termis ist nach wie vor dicht. „Die Brücke bleibt geschlossen, aber wir hoffen, bald wenigstens mit großen Pontonfähren übersetzen zu können.“
Offiziell will man in Taschkent zur Frage der Hilfslieferungen keine Stellung nehmen, doch jeder weiß, dass das Thema heikel ist. Obwohl Präsident Karimow einerseits den USA den einzigen großen Militärstützpunkt in der Region zur Verfügung gestellt hat, versucht das Regime auf der anderen Seite alles, um Usbekistan vom Krieg im Nachbarland abzuschotten: Grenzübertritte jeder Art sind untersagt. Das Regime hat eine geradezu panische Furcht, zusammen mit Flüchtlingen könnten militante Mitglieder der Islamischen Bewegung Usbekistan (IMU) einsickern und Terrorakte im Land durchführen.
Erstens kämpfen nach offizieller Version hunderte Anhänger der IMU an der Seite der Taliban im Norden Afghanistans, die nur darauf warten, in Usbekistan zuschlagen zu können. Zum Zweiten fürchtet man in Taschkent offenbar, Hilfslieferungen der UNO könnten womöglich dazu führen, das Taliban-Regime zu stabilisieren, da diese Lebensmittel und Medikamente zur Versorgung ihrer eigenen Truppen missbrauchen könnten. Nicht zuletzt will Karimow verhindern, dass der Krieg im Nachbarland den Usbeken zu sehr bewusst wird. Noch ist in Taschkent nämlich nichts davon zu spüren, dass Usbekistan zu einem Frontstaat der amerikanischen Anti-Terror-Allianz geworden ist.
Offiziell hat der Präsident seinen Landsleuten lediglich in einem einzigen Statement nach dem Besuch des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld kurz mitgeteilt, dass er beschlossen habe, den USA eine Basis zur Verfügung zu stellen. Als Begründung für diesen außerordentlichen Schritt seines Landes verwies er lediglich auf die „Terrorbekämpfung“.
Statt Informationen kursieren deshalb in Taschkent vor allem Gerüchte. Als Beweis dafür, dass die Amerikaner demnächst Bodentruppen von Usbekistan aus einsetzen werden, erzählt ein Student, der im Management einer Bekleidungskette jobt, die US-Army habe alle in Taschkent verfügbaren festen Stiefel aufgekauft. Dann muss es ja bald losgehen.
Um für Proteste möglichst wenig Anlass zu geben, bleibt der Alltag in Taschkent erst einmal unberührt und der Krieg draußen vor der Tür. Opfer dieser Politik sind die hungernden und vertriebenen Flüchtlinge auf der anderen Seite der Grenze. Die UN haben in Taschkent bereits einen ganzen Zug gechartert, der vollgepackt mit Lebensmitteln jeden Augenblick in Richtung Termis ausfahren könnte. In der Grenzstadt wurden Lagerhallen, die die Rote Armee zurückgelassen hatten, gemietet und mit Medikamenten aufgefüllt.
Alles ist bereit, damit endlich die lebensrettenden Transporte starten können, doch noch finden usbekische Bürokraten jeden Tag einen neuen Hinderungsgrund. Rupa Joshi sagt es nicht direkt, meint aber nur eines: Die Weltgemeinschaft muss mehr Druck machen.
JÜRGEN GOTTSCHLICH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen