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Poppen aus Prinzip

Ob Händedruck oder Hand in der Hose: Sex ist nur eine von vielen Arten der Kommunikation. Das Babylon Mitte zeigt eine Werkschau des französischen Regisseurs Bertrand Blier

von KATJA NICODEMUS

Bertrand Blier hat eine große schöne Utopie: Alle Menschen sollen Sex miteinander haben und sich quer die Geschlechter aneinanderkuscheln, betasten, berühren und verbinden. Da aber selbst die Figuren seiner eigenen Filme eine gewisse Widerständigkeit gegen fortwährende reibungslose Vereinigungen zeigen, bleibt der Sex in Bliers Filmen ein dramaturgisch völlig unberechenbares und befreiendes Moment, ein polymorph überbordender Trieb, der ständig die unglaublichsten Konstellationen und überraschendsten Paarungen hervorbringt.

Ob sich zwei Menschen in einem Blier-Film unterhalten oder miteinander ins Bett gehen, ist fast das Gleiche. Der Sex ist einfach eine von vielen Arten der Kommunikation, und es hat eine überzeugtende Logik, wenn sich beispielsweise der Arzt aus „Buffet Froid“ auf seine fiebernde Patientin stürzt und ihr nach einer leidenschaftlichen Liebesszene Eispackungen mit Senfpulver verschreibt. Und wenn Gérard Depardieu in „Abendanzug“ als junger Gangster einem männlichen Gegenüber bei der ersten Begegnung die Hand in die Hose steckt, dann wirkt das so unaufgeregt und normal wie in anderen Filmen ein Händedruck.

Dieses unverkrampfte Verhältnis zur Körperlichkeit hat zwei angenehme Nebeneffekte. Zum einen verleiht die unbekümmerte Libido, die sich nicht um Klassen und andere soziale Parameter schert, Bliers Filmen einen antibürgerlichen Grundimpuls. Zum anderen bewirkt sie bei seinen Figuren eine erotische Empfindsamkeit und Gefühlssicherheit, die sie einerseits in die absurdesten Situationen führt, ihnen dabei aber stets ihre Würde läßt. In Bliers vielleicht sexualisiertestem Film, dem 1986 enstandenen „Abendanzug“ gibt es eine Szene, in der der junge Depardieu im Tigerslip vor dem Mann steht, denn er liebt und verführen will. Die Rettungsringe sind zu sehen, der Bauch ist schon etwas wabbelig und alle Speckpölsterchen erbeben, wenn er sich übermütig zum Angebeteten aufs Bett wirft – um zunächst abgewiesen zu werden.

Trotzdem wirkt Depardieu in dieser Szene einfach anrührend attraktiv, weil er das Begehren auf seiner Seite hat, weil er um seine nackte Verletzlichkeit weiß und sich mit dem ganzen Überschwang des Frischverliebtseins darüber hinwegsetzt. Er spielt in diesem Film einen Großkotz und Angeber, der reihenweise Villen ausraubt. Es geschieht häufiger, dass Blier in seinen Filmen eine Verbindung zwischen Sex und Diebstahl zieht, die bei ihm beide einer Ökonomie des Verschwendens entsprechen. Nicht nur weil seine Ganoven das erbeutete Geld stets mit vollen Händen ausgeben. In seinem durchgeknallten Roadmovie „Les valseuses“ – „Die Ausgebufften“ durchqueren Depardieu und Patrick Dewaere Frankreich auf einem hedonistischen Beutezug. Autoklaus, Wohnungseinbrüche, die sexuelle Erlösung der frigiden Miou-Miou und die Entjungferung von Isabelle Huppert scheinen hier allesamt dem gleichen unbekümmerten Penetrationsprinzip zu gehorchen.

In dieser freien Fluktuation der Körper liegt die ausgelassene Ideologiekritik von Bliers Filmen: Geld und Häuser sollte man genauso wenig als Privatbesitz behandeln wie das eigene Geschlechtsleben. Dass die perfekte Schnittstelle dieser Ökonomien letztlich der Körper der Prostituierten ist, hat bei ihm manchmal zu Missverständnissen geführt. Die „glückliche Nutte“ Anouk Grimberg, die in „Mon homme“ einen Penner bei sich aufnimmt und zum Zuhälter macht, ist im Grunde die ironische Überzerrung der alten Männerfantasie, die sich vorstellt, dass es den Huren ja doch irgendwie Spaß macht. Jedenfalls fällt es schwer, einen Liebesakt ernst zu nehmen, bei dem eine Frau, die sich gerade mit einem Hund verglichen hat, entzückt von hinten genommen wird, während im Off religiöse Choräle erdonnern.

Grimberg, die mit Blier eine Zeit lang verheiratet war, verkörpert auch in „Un, deux, trois soleil“ eine typische Blier-Fantasie. Sie spielt ein sexuelles Wunderkind, das sich bei seinen multikulturellen Nachbarn einiges abschaut. Wieder entwickelt der Sexus seine befreiende Antidramaturgie. Dass in diesem Film eine Sechsjährige von einer Sechsunddreißigjährigen gespielt wird, fällt gar nicht weiter auf.

„Werkschau Bertrand Blier“, bis zum 6. November im Babylon Mitte, Rosa Luxemburg Str. 30

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