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Wir sind hier die zweitältesten Mieter

Die serbisch-kroatische Familie Ilić wohnt seit fast zehn Jahren in Moabit. Mutter Nadika und ihr Sohn Damjan sollen nun abgeschoben werden. Kroatien gilt als sicheres Rückkehrland. Der serbische Vater wird weiter in Berlin geduldet. Nur der Petitionsausschuss kann noch helfen

Eine gemeinsame Zukunft in Kroatien? Das ist russisches Roulette, sagt Miloš

von FRIEDERIKE GRÄFF

Die Ziegensittiche haben Angst vor Fremden. Sie flattern von einer Stange zur anderen, aber in ihrem Käfig ist wenig Platz für Fluchtgefühle. „Einer hat erst bei uns das Fliegen gelernt“, sagt Miloš Ilić, während seine Frau Nadika Kaffee einschenkt. Das Wohnzimmer der Familie Ilić ist hell und freundlich, Gardinen vor den Fenstern, Couchgarnitur und Schrankwand. An der Wand hängen Familienfotos. Diejenigen mit seinem Vater hatte Sohn Damjan schon einmal eingepackt, als er und seine Mutter von der Polizei für die Abschiebehaft abgeholt wurden.

Nachdem die Ausländerbehörde die Klage von Nadika Ilić gegen die Ablehnung ihres Asylantrags zurückgewiesen hat, bleibt ihr wenig Hoffnung. „Ich denke zu 70 Prozent, dass es umsonst war.“ Es überrascht, dass sie Hoffnung mit Zahlen verknüpft. Nadika Ilić hat nichts Buchhalterisches an sich, und die Lebhaftigkeit ihres Kummers lässt ahnen, wie man sie sich in glücklicheren Zeiten vorstellen muss.

Aber neun Jahre Kampf um ein Bleiberecht in Deutschland hinterlassen ihre Spuren. Neun Jahre, während derer die Ilićs alle drei Monate zur Ausländerbehörde gehen, um die Duldung zu verlängern. In der Hoffnung, dass es noch einmal klappt. Im Juli 2000 wird sie für Nadika Ilić und ihren Sohn verweigert: Kroatien gilt als sicheres Rückkehrland. Im Dezember erklärt das Verwaltungsgericht die Abschiebung für rechtmäßig. Miloš darf bleiben. Er ist Serbe. „Nach der europäischen Menschenrechtskonvention ist der Schutz von Ehe und Familie eine selbstverständliche Verpflichtung“, sagt Rechtsanwalt Rüdiger Jung, der die Ilićs vertritt. Aber in der deutschen Flüchtlingspolitik finden binationale Ehen keine Berücksichtigung. Und keinen Schutz.

Miloš Ilić erzählt, wie er seine Frau kennen gelernt hat – vor dem Krieg, als eine Liebesgeschichte zwischen einem serbischen Kranführer und einer kroatischen Bürokauffrau noch denkbar war: „Eine große Liebe.“ Miloš, Hobbyboxer, groß und kräftig, und Nadika, die ihm nur knapp bis zur Brust reicht. Sie heiraten und ziehen gemeinsam nach Kroatien. Sie ist katholisch, er orthodox. „Eine Liebe, die alles überwindet“, sagt Miloš. Aber er sagt es mit einer kleinen Stimme, so, als sei es eine Gewißheit aus einer vergangenen Zeit. Den Anfeindungen in Kroatien können die Ilićs nur durch Flucht aus dem Weg gehen. Nadika arbeitet hochschwanger in einem Büro, als die Ehemänner ihrer beiden Kolleginnen in den Krieg gegen Serbien zogen. „Ich konnte die Blicke nicht mehr ertragen. Die Blicke auf meinen Bauch mit dem serbischen Kind.“ Im März 1992 flieht Miloš Ilić mit einem Visum als Bürgerkriegsflüchtling nach Deutschland. Im August folgt seine Frau mit dem einen Monat alten Damjan.

„Fragen Sie nicht“, sagt Nadika Ilić, wenn man sich nach den ersten Jahren in Berlin erkundigt. „Ich hatte zum ersten Mal seit 14 Jahren keine Arbeit und konnte kein Deutsch“. Aber als Damjan in den Kindergarten kommt, will sie bei den Elternabenden etwas sagen können. „Die Sprache ist doch die erste Stufe, um in einem fremden Land heimisch zu werden.“ Die Ilićs finden über Damjans Kindergarten und Schule Freunde, helfen bei Basaren und Handwerksarbeiten und richten ihre Wohnung in Moabit ein. „Wir sind die zweitältesten Mieter“, sagt Miloš mit leisem Stolz. Manchmal geht er zu den Treffen des SPD-Ortsverbands und schließlich findet er Arbeit als Trockenbauer.

In allen Familien gibt es eine Art der Zeitrechnung, die das Leben wie eine Eisenbahnstrecke mit Stationen ausschildert. Für Familie Ilić ist der 27. Dezember 2000 der Tag, an dem sie ihre Sicherheit verloren haben. Als sei ein Kontrolleur gekommen und habe sie ohne Warnung aus dem Zug geworfen. An diesem Tag kommt die Polizei, um Nadika und Damjan in Abschiebehaft zu nehmen. „Am letzten heiligen Tag“, sagt Miloš.

Damals hatte Nadika ihren Sohn gebeten, seine Sachen zu packen. „Er hat dann alle Fotos seines Vaters eingesammelt“, sagt sie, versucht, die Tränen zurückzuhalten und geht dann aus dem Wohnzimmer. Ihr Mann weint auch, leiser, aber er bleibt auf dem Sofa sitzen und hält sich an der Aktenmappe fest. „Wir haben jahrelang darum gekämpft, hier zu bleiben. Aber jetzt kommt kein Widerstand mehr von uns“, sagt er. „Alles ist nun in der Hand des Rechtsstaates.“

Miloš ist müde. Die Kraft seiner Arme scheint einem anderen Mann zu gehören, einem, der sie brauchen kann. Aber als Trockenbauer darf der Vater nicht mehr arbeiten. Obwohl im letzten Jahr das Arbeitsverbot für geduldete Flüchtlinge von 1995 wieder aufgehoben wurde, gibt ihm das Arbeitsamt keine Arbeitserlaubnis. Die Begründungen wechseln. Mal wird auf die deutschen Arbeitslosen in der Baubranche verwiesen, mal auf seine befristete Duldung, die kürzer ist als die neunwöchige Bearbeitungszeit auf dem Amt. „Ich will nicht auf Kosten des Staates leben“, sagt Miloš Ilić. Was er verschweigt, ist das Attest seines behandelnden Psychiaters. Von einer „posttraumatische Belastungsstörung“ ist darin die Rede und dass er 1992 in Kroatien zusammengeschlagen und später mit anderen abgeführt wurde. Er konnte fliehen, die anderen wurden erschossen. Vier bis fünf Stunden Arbeit pro Tag würden Miloš Ilić gut tun, schreibt der Arzt.

Statt des Attests zieht Miloš Ilić ein Zeugnis von Damjans Fußballtrainer aus dem Aktenwust. „Er spielt jetzt seit fünf Jahren, das heißt, sein halbes Leben lang“, sagt sein Vater und lächelt, so wie es beide Eltern nur dann tun, wenn die Sprache auf Damjan kommt. Der Trainer ist voller Lob. „Sehr gute Fortschritte“, bestätigt er, und dass sich Damjan gut mit den anderen Kindern verstehe. In der Schule beginnt er jetzt mit Englisch. „Er lernt gerade die Farben“, erzählt sein Vater voller Stolz und dass Damjan ihn lobe, wenn er auch ein paar Worte lerne.

Nadika und Miloš Ilić können nur wenig Englisch. Trotzdem überlegen sie, nach Australien auszuwandern. Dort gibt es ein humanitäres Programm für die Integration binationaler Paare, in das die Ilićs bereits aufgenommen sind. Wann sie aber tatsächlich einreisen dürfen, ist ungewiss. Sicher ist, dass sie nach einer Abschiebung aus Deutschland nicht mehr die Voraussetzungen für das Programm erfüllen.

Aber Australien ist nur ein letzter Strohhalm. Die Ilićs möchten in Berlin bleiben. „Wir haben hier Ruhe gefunden“, sagt Nadika, „und wir haben hier neue Freunde.“ Eine gemeinsame Zukunft in Kroatien sieht sie nicht. „Warum kämpfe ich so sehr darum, hier bleiben zu können?“ fragt sie, aber es ist keine Frage. „Der Hass bleibt 20 Jahre“, fürchtet Miloš und sagt, dass es für ihn russisches Roulette bedeute, zurückzugehen. „Was für Arbeit würde ich dort finden?“ fragt er, und auch das ist keine Frage.

Nun, da Nadika und Damjan in nicht mal mehr zwei Wochen die zwangsweise Abschiebung droht, bleibt den Ilićs nur noch eine Hoffnung: Die Petition der Elterninititiative. Befreundete Elternpaare aus Damjans Klasse haben sich zusammengeschlossen, um für die Ilićs ein dauerhaftes Bleiberecht zu erkämpfen und haben eine Petition an den Ausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses eingereicht. Darin bitten sie um eine humanitäre Lösung für die binationale Familie. Rechtsanwalt Jung nennt das eine „Verpflichtung der Politik“. „Ich kann schlecht sagen, wie dankbar ich der Elterninitiative bin“, beteuert Nadika. Miloš steht vom Sofa auf, um nach der Post zu sehen. „Bleib’ weg vom Briefkasten“, bittet seine Frau. Ein wenig Scherz ist dabei. Aber nicht viel. Nadika Ilić hat aufgehört, gute Nachrichten zu erwarten.

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