: Unsicheres Geschäft
Auf der Sicherheitsmesse wollen Aussteller die Terrorangst zu Geld machen. Besucher interessiert das herzlich wenig. Sie fürchten mehr die Nachbarn
von ULRICH SCHULTE
Um 14 Uhr ist Showtime in Halle 7.2a. Dann zieht sich Peter Grösch aus der Abteilung Fertigungsplanung den orange-leuchtenden Overall über, greift sich die Stahlbrechstange, schiebt die Unter- über die Oberlippe und hackt auf das Sicherheitsfenster mit Widerstandsklasse Drei ein.
Bricht Späne aus dem massiven Eichenrahmen, setzt neu an, versucht die Pilzzapfen aus den Sicherheitsschließstücken zu reißen. Schweißtröpfchen hängen über seinen Augenbrauen, und er hört wohl nicht, was sein Chef ins Mikrofon redet. Nicht kaputtzukriegen sei das Ding, „unsere Fenster schützen Sie nicht nur vor Feuer, sondern auch vor jedem Attentäter.“
Ein Satz, der – obwohl reichlich zerknistert und übersteuert – viel sagt über die Sicherheitsmesse SiTech, die heute ihr Ende findet. Und über die Erwartungen der 80 Aussteller, über die Hoffnung auf den Aufschwung, gespeist aus der vagen Angst der Leute in Zeiten von Milzbrand-Briefen und Bombendrohungen. Peter Grösch gibt keuchend den verkaufsfördernden Einbruchsversuch auf. Natürlich war die Brechstange von vornherein zum Scheitern verurteilt. Bei Fenstern, hinter denen sogar Joschka Fischer einbruchssicher sitzt. Aber es knirscht laut, Holz splittert, die Leute bleiben stehen, Fensterscheiben werden plötzlich interessant.
Nach dem Auftritt kommt die Minute von Wolfgang Wenzel, Stand 135. Wo die Damen und Herren gerade hier ständen, ruft der untersetzte Elektromechaniker, könnten sie doch gleich einen Blick auf seine Erfindung werfen, die dreiste Einbrecher garantiert vertreibe. Er rückt ein Stativ ein paar Zentimeter vor und dreht den gräulichen Blechkasten darauf in Richtung Gang. Zwei dunkle Löcher starren ins Publikum, rechts ist eine Kleinbildkamera befestigt. Wenzel drückt auf die schmale Fernbedienung, es knallt, eine Druckwelle fegt durch Business-Frisuren, nur Luft natürlich, sonst ist es Tränengas. Zugleich schießt der Selbstschussautomat auch noch ein Foto des Einbrechers. Man fühlt mit den Dieben.
Doch was soll Wenzel machen, er steht nicht freiwillig hinter dem niedrigen Tresen. Seit sieben Jahren ist er arbeitslos. Schuld waren die Einbrecher, die seine Computerfirma in Schönwalde in der Altmark ausräumten. Das war nach der Wende, da war es nicht mehr wie früher im Osten, „wo noch einer dem anderen half“. Um sich gegen die Langeweile, die Existenzangst und vielleicht gegen die neuen Zeiten zu wehren, schraubt er seitdem bunte Elektroplatinen zusammen und verlötet sie mit einer Gaspistole, Modell Röhm RG 80, darin ein Magazin mit sieben Schuss. Wenn er über sein „Stinktier, die automatische Reizstoffsprühanlage“ redet, spricht er schnell, und es klingt, als führe er Krieg – was nicht recht zu seinem runden Gesicht mit Vollbart passen mag. CS-Gas, „bekannt aus dem Vietnamkrieg“, das Gesicht brenne wie Feuer, man bekomme Atemnot, Todesängste, rattert er herunter. Folgeschäden gebe es jedoch keine.
„Gerade in diesen Zeiten macht sich dieses Gerät . . ., na ja, günstig ist es jedenfalls.“ 3.100 Mark, inklusive Bewegungsmelder und Fernbedienung. Hinter ihm sitzen seine Frau und sein Jüngster an einem Holztisch vor Orangensaft und Biskuitkeksen. Bei jeder Vorführung halten sie sich die Ohren zu.
Endlich bleibt ein Pärchen stehen, jung und sicherheitsinteressiert. „Man kann das in jedem Raum aufstellen?“ „Stimmt, der ist dann wie eine Festung.“ Die Frau lacht: „Und die Haustiere fallen tot um.“ „Na ja, der Papagei könnte von der Stange fallen, wenn er sich bewegt.“ Deshalb steht das Stinktier-Sprühgerät auch nicht in Wenzels eigener Wohnung trotz der „selbstverständlich integrierten“ Schutzvorrichtungen.
Das Pärchen schlendert weiter, der Mann sucht etwas, „was es nicht im Baumarkt gibt, was für den Heimwerker-King, sozusagen“. Der Heimwerker-King in ballonseidener Trainingshose will unliebsame Nachbarn abschrecken. Vor ein paar Jahren sind die beiden in eine kleine Gemeinde südlich Berlins gezogen, „da gibt es eine gewisse Inzucht“.
Ihren Namen wollen beide nicht in der Zeitung lesen, sicherheitshalber. Angst wegen der Terroranschläge, der Trittbrettfahrer? Quatsch, vielleicht seien manche Leute etwas sensibilisiert. „Viel mehr nerven uns die Anfeindungen der Dörfler.“
Auch Martin Eck, Radiologe, steckt die vielen Kataloge aus „rein pragmatischen Gründen“ in seine grüne Gürteltasche. Sein Haus in Falkensee will er sicherer machen, eine massive Terrassentür, vielleicht Gitter vor die kleineren Fenster. „Mein Sicherheitsbedürfnis hat überhaupt nichts mit dem elften September zu tun.“ Die wenigen Normalbürger, die auf die Messe kommen, denken ähnlich. Und die große Mehrheit der knapp 2.000 täglichen Besucher ist sowieso geschäftlich hier.
Hinter einer Phalanx aus Pfeffergasdosen, groß wie Mineralwasserflaschen, steht David Pülz aus Bruchsal, Baden-Württemberg und sieht dort fehl am Platze aus, was an der runden Brille und den schmalen Schultern liegt. Seinen Teleskopschlagstock würde er nie benutzen, er liefert ihn nur – an Behörden oder Sicherheitsdienste. „Ich hätte erwartet, dass mindestens der Innensenator eine Rede hält“, sagt Pülz enttäuscht. Doch er will sich nicht beklagen, im täglichen Geschäft profitiert seine Vertriebsfirma von der Terrorangst, der Umsatz ist im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen. Und wenn schon keine neue Kunden kamen, Journalisten waren reichlich da, was Pülz fast noch lieber ist. Acht Zeitungen, deren Namen er schon nicht mehr erinnert. „Außerdem mehrere Kamerateams, gerade ein Reporter vom Spiegel, drei Stunden mit Fotograf.“ Alle auf der Suche nach Geschichten von der diffusen Angst in der Bevölkerung, nach der Stimmung, die sich hier in den Hallen der Sicherheit manifestieren könnte.
Sie suchten vergebens. „Vielleicht ist den Leuten die Messe zu technisch“, mutmaßt Geschäftsführer Pülz. „Ein Stand muss ansprechend gestaltet sein. Wir sind immerhin noch Menschen.“ Dazu blinken im Neonlicht seine Handschellen, Stück 69,50 Mark, mit Doppelsicherung.
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