piwik no script img

„Es lohnt sich, zu kämpfen“

Wie will Helmut Röscheisen (52) leben? Künftig mit mehr Mut zur Radikalität. Der Umweltaktivist will wieder die Systemfragen in den Mittelpunkt der Umweltbewegung stellen – weg von der bloßen Tagesaktualität und hin zu neuen Visionen

Interview NICK REIMER

taz: Herr Röscheisen, die taz ist jetzt mal gute Fee. Sie haben drei Wünsche frei. Wie wollen Sie leben?

Röscheisen: In einer Welt ohne Krieg.

Ein hehrer Wunsch, der leider nicht zu realisieren ist. Wir sind die taz, nicht das State Department.

Gut, dann eben in einer Welt, die nachhaltig ist, die gerecht ist. In einer Welt mit Menschen, die sich bewusst sind, dass sie heute nur der Verwalter des Morgen sind.

Geht es nicht ein bisschen einfacher? Wie wäre es mit glühender Liebe? Überragendem Erfolg? Dem Alternativen Nobelpreis?

Das zu wünschen wäre Unsinn. Über derlei kann man sich nur freuen, wenn man es selbst erkämpft hat.

Da muss es Ihnen im Moment nicht besonders gut gehen. Als Sie Anfang der 90er-Jahre die Umweltbewegung zur Demonstration gegen den Golfkrieg aufriefen, kamen 300.000 Menschen nach Bonn. So etwas erscheint heute undenkbar. Kämpfen Sie zu wenig?

Die Gesellschaft ist heute nicht mehr so politisiert wie damals. Und die Gefahren für Klima und Umwelt werden heute anders als damals wahrgenommen.

Sind Menschen heute nicht mehr für Umweltanliegen zu begeistern?

So kann man das nicht sagen. Der Einsatz für die Umwelt hat heute nur eine andere Form. Einer der wesentlichsten Fortschritte der Umweltbewegung ist, dass private Organisationen und staatliche Stellen heute enger zusammenarbeiten. Das war vor zehn Jahren nicht so: Die Umweltverbände hatten sich die staatlichen Umweltschützer als Hauptgegner auserkoren – und nicht die tatsächlichen Gegner, die für die Umweltzerstörung Verantwortlichen.

Was hat die Allianz gebracht?

Wir haben im Bereich des technischen Umweltschutzes bedeutende Fortschritte erzielt, wenn Sie sich nur die Reinhaltung der Luft ansehen. Im Bereich des Naturschutzes sind wir dagegen hinter den Stand von 1985 zurückgefallen. Die so genannten roten Listen der gefährdeten Pflanzen- und Tierarten werden immer länger. Es gibt kaum noch unzerschnittene Flächen in der Bundesrepublik. Pro Tag werden durch Versieglung 129 Hektar Landschaft verbraucht. Rechnet man das hoch, kommt jährlich eine Fläche raus, die fast so groß ist wie der Bodensee – ein Indikator dafür, dass es der Natur heute schlechter geht.

Ihre Gesamtbilanz ist also negativ?

Die Trendumkehr ist nicht in Sicht. Wir brauchen aber in Deutschland eine nachhaltige Wirtschaftsweise, die weltweit übertragbar ist. In Deutschland sind mittlerweile über 40 Millionen Autos unterwegs. Ein Viertel der CO2-Emission kommt vom Verkehrssektor. Zugleich nimmt der öffentliche Personenverkehr dramatisch ab. Würde man diese Entwicklung auf Länder wie China oder Indien übertragen, wo zwei Drittel der Weltbevölkerung leben, wäre die Erde schnell am Ende. Natürlich fragen die Chinesen auch: Wie wollen wir leben? Gerechterweise müssen wir ihnen die Antwort zubilligen: So wie ihr. Also müssen wir unsren Lebensstil ändern.

Sie beschränken das nicht auf unsere Mobilität?

Nein, Sie können beliebige andere Beispiele nennen: Den wachsenden Energieverbrauch, die Zersiedlung oder die Rohstoffproblematik. Die kleinen Erfolge, die wir haben, ändern nichts am schlechten Gesamttrend.

Bei solch einer Negativbilanz: Was motiviert Sie, weiter für eine bessere Umwelt zu kämpfen?

Mit Sicherheit wäre es viel schlimmer, wenn es uns nicht gäbe. Beispiel Atomkraftwerke, Beispiel Müllverbrennung – vor einigen Jahren sollten dutzende Neuanlagen gebaut werden. Die Umweltbewegung hat das verhindert. Bei diesen Erfolgen kann man sich sagen: Ja, es lohnt sich, zu kämpfen.

Klingt nach Zweckoptimismus. Wie stark ist die Bewegung heute?

Schwer zu sagen. Einerseits ist sie professioneller geworden, etwa im Umgang mit den Medien. Die Umweltbewegung ist andererseits nicht mehr so stark, wenn man danach geht, wie viele Menschen sich heute aktiv einbringen. Zwar haben wir – anders als etwa die Politik – kein Nachwuchsproblem. Aber der Höhepunkt Ende der 80er-Jahre ist vorbei.

Woran liegt das?

An der individualisierten Gesellschaft. Sie ist durch Selbstverwirklichung und den Rückzug ins Private charakterisiert. Wir müssen uns aber auch an die eigene Nase fassen. Im Laufe der Jahre hat es auch bei uns Verkrustungen gegeben. Wir brauchen wieder flachere Hierarchien, unbürokratischeres Verhalten, um Leuten, die sich einsetzen wollen, die Türen zu öffnen.

Muss die Umweltbewegung wieder stärker Systemfragen stellen?

Mit Sicherheit. Die Frage „Warum ist das so?“ muss wieder stärker in den Vordergrund. Beispiel Globalisierung: Die Umweltbewegung beginnt erst langsam, sich in den Diskurs einzuklinken.

Warum hat die einst hoch politisierte Umweltbewegung derlei Fragen aus den Augen verloren?

Ein Aspekt ist sicher, dass Lösungskapazität und -kompetenz der Umweltbewegung sehr viel stärker von der Politik abgerufen werden als früher – von der Enquetekommission des Bundestags bis in die Kommunen. Das bindet Kapazitäten, lässt zu wenig den visionären Blick über die Tagesaktualität hinaus zu.

Die Politik hat sich die Umweltbewegung einverleibt und als gesellschaftskritische Kraft ausgeschaltet?

Man könnte das so sehen. Die stärkere Kooperation mit dem Staat war einst eine strategische Entscheidung. Damals hieß es: Gemeinsam sind wir stärker. Kritik allein reicht nicht mehr, heute sind Lösungsvorstellungen gefragt. Da so viele Probleme existieren, gibt es auch den Zwang, für möglichst viele Probleme Fachkompetenz zu besitzen. Dabei besteht immer die Gefahr, dass der Fachmann das große Ganze aus dem Blick verliert. Umweltbewegung muss sich wieder stärker auf gesellschaftspolitische Fragen stürzen. Das kann durch eine Brücke funktionieren, die die Gremien zu Jugendverbänden, Denkfabriken, Globalisierungskritikern schlagen. Unsere Struktur muss durchlässiger für Impulse aus dieser Richtung werden.

Wie wollen Sie das hinbekommen?

Wir sind dabei, Gespräche zu führen – mit Vertretern der Attac-Gruppe, mit unseren Mitgliedern intern andererseits. Wenn wir unsere Position gefunden haben, werden wir uns wieder stärker als Inspirator in die Gesellschaft einbringen. Wir sind ja auch im Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung vertreten, werden dieses Gremium nutzen . . .

. . . schon wieder ein Gremium.

Ja, aber dass wir mit Gremienarbeit erfolgreich sein können, hat das Erneuerbare-Energien-Gesetz der rot-grünen Regierung gezeigt. Wir haben geholfen, die Idee organisiert in die Politik zu transportieren.

Welche Rolle muss Globalisierung in der Umweltbewegung spielen?

Zwangsläufig eine starke. Seit dem Klimagipfel in Rio haben wir praktisch keine Erfolge beim Klimaschutz erzielt. Klimaschutz aber ist ein globales Problem, das nicht an Staatsgrenzen stoppt. Der wirtschaftliche Zwang, immer größere Konzerne zu bilden, erzeugt auf der anderen Seite immer mehr Armut. Damit müssen wir uns auseinander setzen, weil Armut immer an ökologische Folgen gekoppelt ist.

Erfahrungsgemäß ist es einfacher, Protest gegen eine Umgehungsstraße zu organisieren als gegen Pipelines durch ein Naturschutzgebiet in Ecuador. Wie wollen Sie Menschen für das Thema Globalisierung gewinnen?

Die Umweltbewegung agiert nicht in einem luftleeren Raum. Jeder erfährt in seinem Leben die Folgen der Globalisierung – bei der Arbeit, im Alltag. Wir brauchen nur die Zusammenhänge aufzudecken und Lösungen anzubieten.

Muss die Umweltbewegung radikaler werden?

In gewisser Weise ja. Eine Form von Radikalität ist es, unbequeme Themen auf die Tagesordnung zu setzten. Ein Beispiel: Seit Hermann Göring gilt ein in der Bundesrepublik inhaltlich in wesentlichen Punkten unverändertes Jagdgesetz. Es garantiert 300.000 Jägern exklusive Landnutzungsrechte. Keiner traut sich, das Bundesjagdgesetz zu reformieren. Wir müssen erreichen, dass das ökologisiert und demokratisiert wird. Wir müssen wieder den Mut aufbringen, Dinge zu Ende zu bringen, also konsequenter und das heißt radikaler werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen