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vorlesungskritikANSGAR WARNER über Remember September

Ein Orientalist mit Groll

Ist Professor Udo Steinbach wirklich etwas in Rage!? Oder kommt der leidenschaftlich argumentierende Leiter des Hamburger Orient-Instituts einfach nur unabsichtlich von Zeit zu Zeit dem Saalmikrofon zu nah? Steinbach, heute Gastredner im Rahmen der Ringvorlesung „Nach dem 11. September“ an der Freien Universität, hätte jeden Grund, auf die westliche Wertegemeinschaft genauso wie auf die islamische Welt einen gesunden Groll zu hegen.

Denn der sich nach dem 11. September anbahnende Konflikt sei – so stellt er von Anfang an klar – Produkt eines „doppelten Missverhältnisses zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ auf beiden Seiten. Der ach so aufgeklärte Westen stelle seine Werte gerne den Interessen von politischer und ökonomischer Macht hintan. Gerade nach 1990 habe man die neue Weltordnung, Frieden und Völkerrecht gepredigt, geändert habe sich aber nichts, stattdessen Business as usual: „Verstehen Sie, meine Damen und Herren, das hier etwas nicht stimmt!?“ Und die Situation der islamischen Länder? Sie strebten auf Grundlage des Korans seit jeher dem Anspruch politisch-gesellschaftlicher Vollkommenheit nach, doch ihre Lage sei nie trostloser gewesen als heute. Politisch instabil und wirtschaftlich unterentwickelt seien sie den westlichen und östlichen Industrienationen ausgeliefert. Wie man aber aus dem nun entstandenen Dilemma am besten herauskommt, kann Steinbach auch nicht genau sagen. Am Wichtigsten ist für ihn, das die Debatte entemotionalisiert und die Angriffe so schnell wie möglich beendet werden.

Steinbach ist ein geübter Redner, seine Hände unterstützen dirigentenhaft die im Stakkato auf die Zuhörer niedergehenden prägnanten Thesen. Fast schon eine Mischung aus Loriot und Reich-Ranicki. Doch sein Anliegen ist ihm wichtig. Immer, wenn es an der Nahtstelle zwischen Westen und Islam brennt, ist Steinbach ein weithin begehrter Gesprächspartner. Seine Botschaft heißt: Der 11. September hat eine kulturelle Tiefendimension, für beide Seiten. Für einen zukünftigen Dialog der Kulturen braucht es zunächst das selbstkritische Hinterfragen der eigenen Position.

Ob sich der anwesende FU-Präsident da angesprochen fühlt? Die in seine Begrüßung eingeflochtene „Toleranz gegenüber Religionen, Rassen und Nationen“ hätte nämlich in letzter Zeit ruhig etwas deutlicher ausfallen können. Als einzige Uni in Berlin schwieg man sich zur Rasterfahndung hartnäckig aus: Statt Solidaritätserklärungen hängen nun Hinweise zum Datenschutz aus. Die Studierenden haben eine alternative Ringvorlesung zum Thema Diskriminierung und Rassismus organisiert. Was kann man mehr verlangen? Das selbstkritische Hinterfragen hat schon begonnen.

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