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Tschechischer Fortschritt

Zwar wurde Interims-Intendant Jirí Balvin jetzt offiziell als Chef des Tschechischen Fernsehens bestätigt. Ob er den Sender nach dem Aufruhr aus der finanziellen Misere führen kann, bleibt unklar. Man vermutet politischen Druck hinter der Entscheidung

Um den Sender in schwarze Zahlen zu bringen will Balvin Mitarbeiter entlassen

aus Prag ULRIKE BRAUN

Die Agonie des tschechischen Fernsehens (CT) hat ein Ende, der Chefsessel des öffentlich-rechtlichen Senders ist nach über zehn Monaten wieder fest besetzt. Jirí Balvin, seit Februar dieses Jahres Interims-Intendant, wurde am Mittwoch vom Fernsehrat als Senderchef bestätigt. Die Wahl Balvins sei eben die beste gewesen, weil es im Auswahlverfahren keinen Superkandidaten gab, meinte Fernsehratsmitglied Petr Kucera.

Denn die Entscheidung für den Interims-Intendanten wird vor allem als Kompromiss gesehen. Nachdem in den vergangenen drei Jahren die Intendanten beim Öffentlich-Rechtlichen wiederholt gewechselt haben, hat man dort die Nase voll von Experimenten. Auch hat es Balvin geschafft, die Wogen der Aufregung nach der Fernsehrevolution im letzten Winter zu glätten: Während er Politiker und Öffentlichkeit davon überzeugte, er werde die Situation im Sender stabilisieren, versprach er den aufständischen Redakteuren Straffreiheit. Die hielten zu Beginn dieses Jahres aus Protest gegen die Politisierung des Senders das Nachrichtengebäude so lange besetzt, bis ihre Forderungen nach personellen Änderungen erfüllt wurden.

Am 8. Februar wurde Jirí Balvin vom tschechischen Abgeordnetenhaus mit der Rolle des Interimsintendanten betraut, gleichzeitig wurde ein neuer Fernsehrat geschaffen, der nun Balvin in dieser Funktion bestätigt hat. Ganz unumstritten bleibt die Wahl Balvins dennoch nicht. Svatopluk Karasek, Fernsehratsmitglied, Pfarrer und Alt-Rocker der Dissidenten-Kultband „The Plastic People of the Universe“ ist nach der Wahl des Altneuintendanten von seinem Posten im Rat zurückgetreten. „Ich kann es zwar nicht belegen, aber ich glaube, da war politischer Druck“, erklärte Karasek seine Entscheidung.

Wie dem auch sei, niemand bezweifelt die Professionalität des Fernsehmannes Balvin, der schon seit über 25 Jahren mit dem tschechischen Fernsehen verbändelt ist. Dafür wird ihm aber ein Mangel an Erfahrung als Manager und Ökonom vorgeworfen, der es ihm schwer machen wird, das Öffentlich-Rechtliche aus der finanziellen Misere zu führen, in der es sich befindet. Jahrelange Misswirtschaft hat den Sender bis kurz vor den Ruin getrieben, jetzt liegt es an Balvin, einen neuen, für den Fernsehrat akzeptablen Haushalt auszuarbeiten.

Unbeliebte Entscheidungen musste Balvin schon in seiner Interimsrolle treffen: Um den Sender wieder in schwarze Zahlen zu bringen, will er dessen rund 3.000 Mitarbeiter starken Stab um einige Köpfe kürzen – vor allem Fahrer, Beleuchter oder Verwaltungsangestellte sollen in Zukunft durch freie Mitarbeiter ersetzt werden. Außerdem will Balvin eine Erhöhung der Fernsehgebühren durchsetzen.

Ob man ihm nun zu seiner Wahl gratulieren oder ihn angesichts der vor ihm stehenden Aufgaben als Chef einer solch komplexen Organisation wie das tschechische Fernsehen bemitleiden soll. Die Entscheidung für Jirí Balvin ist zwar auf viel Verständnis, wie auch Verhalt gestoßen. Ist der TV-Profi einerseits für die Mitarbeiter des Senders im Allgemeinen akzeptabel, wird von ihm andererseits kein frischer Input erwartet. Die Wellen des Senders stehen nun auf Stabilisierung, aber auch auf Stagnation.

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