Inkriminierte Texte etc.: Die Analyse des kriminaltechnischen Instituts des Bundeskriminalamts
Peinliche Niederlage für wissenschaftlich kostümierte Kopfjäger
Die Jagdsaison begann in diesem Jahr Mitte August. Als Jäger bliesen der Dresdner Kunsthistoriker Jürgen Paul, der Adenauerbiograf Henning Köhler und Teile der konservativen bundesdeutschen Presse zum großen Halali. Gehetzt und zwei Jahre nach seinem Tod 1999 endgültig zur Strecke gebracht werden sollte der erfolgreiche Publizist Sebastian Haffner. Mit einer äußerst dürftigen Indizienkette wollte Jürgen Paul belegen, Haffner habe die 1939 geschriebene „Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914–1933“ nachträglich manipuliert, um vor der Nachwelt besser dazustehen, als Analytiker und Prognostiker. Obwohl Pauls Belege keineswegs überzeugten, legte der Berliner Historiker Henning Köhler nach. Dabei wurde auch deutlich, worum es im Kern ging: Der „linke Außenseiter Haffner“, wie ihn Köhler nannte, sollte aus der Zunft der Historiker ausgeschlossen und als unseriös hingestellt werden. Mit dem ganzen Repertoire an nationalen Ressentiments, das den deutschen Konservatismus auszeichnet, ereiferte sich Köhler ganz generell über linke Intellektuelle. Als Stein des Anstoßes haben wohl Haffners Erfolge und seine pointierten Stern-Kolumnen zu gelten. Historisch-philologisch waren die Vorwürfe von Paul und Köhler zwar substanzlos, aber dem Weiterbrodeln im massenwirksam aufbereiteten Verdachts- und Gerüchtesumpf tat dies keinen Abbruch. Dem Verlag blieb also nur der Weg, die Vorwürfe kriminalistisch widerlegen zu lassen. Nun liegt die Analyse des kriminaltechnischen Instituts des Bundeskriminalamts (BKA) in Wiesbaden vor. Das Gutachten wurde – wie erwartet (vgl. taz vom 18./19. 8. 01) – zum Desaster für die Haffner-Jäger und ihre publizistischen Verstärker. Das BKA bestätigt, dass das Papier des Manuskripts vom Format und von der Qualität her zweifelsfrei aus England stammt und 1936 hergestellt wurde. Beschrieben wurde es mit zwei Schreibmaschinen („Remington Elite 3“ und „Iris Elite 3“). Beide wurden seit 1928 bzw. 1929 produziert. Das BKA hält fest, dass „die erhobenen Befunde keinen Hinweis auf eine nach 1939 erfolgte Fertigung des in Rede stehenden Manuskripts ergeben haben“. Man hat schon von weniger komfortablen Freisprüchen gehört, aber selten von peinlicheren Niederlagen für wissenschaftlich kostümierte Kopfjäger. RUDOLF WALTHER
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